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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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ausgesucht hatte, um sie für die Dauer der Ermittlungen mitzunehmen.
    »Er ist es, Harry«, flüsterte er. »Ich habe nicht den geringsten Zweifel.«
    Er zeigte ihm ein Foto von Arthur Delacroix, das offensichtlich für die Schule aufgenommen worden war. Er war ordentlich gekämmt und trug einen blauen Blazer mit Krawatte. Bosch betrachtete die Augen des Jungen. Sie erinnerten ihn an das Foto des Jungen aus dem Kosovo, das er in Nicholas Trents Haus gefunden hatte. Der Junge mit dem Tausend-Meter-Blick.
    »Ich habe sie gefunden.«
    Sheila Delacroix kam mit einem Umschlag ins Wohnzimmer und faltete ein vergilbtes Dokument auseinander. Bosch sah es kurz an und notierte sich dann Namen, Geburtsdaten und Sozialversicherungsnummern ihrer Eltern.
    »Danke«, sagte er. »Sie und Arthur hatten dieselben Eltern, oder?«
    »Natürlich.«
    »Okay, Sheila, vielen Dank. Wir müssen jetzt wieder los. Wir rufen Sie an, sobald wir Genaueres wissen.«
    Er stand auf, und Edgar folgte seinem Beispiel.
    »Ist es in Ordnung, wenn wir uns diese Fotos borgen?«, fragte Edgar. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie sie zurückbekommen.«
    »Wenn Sie sie brauchen, meinetwegen.«
    Sie gingen zur Tür, und sie öffnete sie. Noch auf der Schwelle, stellte ihr Bosch eine letzte Frage.
    »Sheila, haben Sie immer hier gewohnt?«
    Sie nickte.
    »Mein ganzes Leben lang. Wissen Sie, ich bin hier geblieben, falls er doch noch zurückkommt. Falls er irgendwann nicht mehr weiterweiß und hierher zurückkommt.«
    Sie lächelte, aber in ihrem Lächeln war nicht der leiseste Anflug von Freude. Bosch nickte und ging hinter Edgar nach draußen.

25
    Bosch ging auf den Kartenschalter des Museums zu und sagte der Frau hinter dem Fenster seinen Namen und dass er mit Dr. William Golliher im Anthropologie-Labor verabredet sei. Sie griff nach dem Telefon und machte einen Anruf. Ein paar Minuten später klopfte sie mit ihrem Ehering an die Glasscheibe, um einen Sicherheitsbeamten in der Nähe auf sich aufmerksam zu machen. Der Mann kam zum Schalter, worauf sie ihn bat, Bosch zum Labor zu begleiten. Er brauchte keinen Eintritt zu zahlen.
    Der Wärter sagte nichts, als sie durch das schwach erleuchtete Museum gingen, an dem Mammut und der Wand mit Wolfsschädeln vorbei. Im Museum selbst war Bosch noch nie gewesen, aber als Kind hatte er häufig an Ausflügen zu den La Brea Tar Pits teilgenommen. Das Museum war erst später gebaut worden, um die vielen Funde, die in den Teergruben aus der Erde hochgeblubbert waren, unterzubringen und auszustellen.
    Nachdem Bosch Arthur Delacroix’ ärztliche Unterlagen erhalten hatte, hatte er sofort Golliher angerufen. Aber der Anthropologe sagte, er arbeite bereits an einem anderen Fall und könne erst am nächsten Tag ins gerichtsmedizinische Institut kommen. Bosch wiederum wollte nicht so lange warten. Und Golliher hatte Kopien der Röntgenaufnahmen und der Fotos vom Wonderland-Fall dabei. Wenn Bosch zu ihm rauskommen wolle, könne er die Vergleiche anstellen und schon mal inoffiziell etwas dazu sagen.
    Bosch ging auf den Kompromiss ein und fuhr zu den Teergruben hinaus, während Edgar in der Hollywood Division blieb und sich hinter den Computer klemmte, um zu versuchen, Arthur und Sheila Delacroix’ Mutter sowie Arthurs Freund Johnny Stokes ausfindig zu machen.
    Als Bosch jetzt dem Wärter durch das Museum folgte, fragte er sich, worum es in dem neuen Fall ging, an dem Golliher arbeitete. Die Teergruben waren ein schwarzes Loch, in dem Jahrhunderte lang regelmäßig Tiere zu Tode gekommen waren. In einer brutalen Kettenreaktion wurden in dem Teer festsitzende Tiere zur Beute anderer Tiere, die sich ihrerseits in dem zähen Schlamm verfingen und langsam in die Tiefe gezogen wurden. In einer Art natürlichem Gleichgewicht kamen die Knochen aus dem schwarzen Brei wieder an die Oberfläche zurück und wurden von den Menschen der Gegenwart zu Studienzwecken gesammelt. Statt fand das alles neben einer der am stärksten befahrenen Straßen von Los Angeles, gewissermaßen zur ständigen Erinnerung an den alles zermalmenden Zahn der Zeit.
    Bosch wurde durch zwei Türen in das enge Labor geführt, in dem die Knochen identifiziert, klassifiziert, datiert und gesäubert wurden. Überall, auf jeder planen Oberfläche, schienen Schachteln mit Knochen zu stehen. Ein halbes Dutzend Laboranten in weißen Kitteln waren damit beschäftigt, die Knochen zu reinigen und zu untersuchen.
    Golliher war der einzige, der keinen Kittel trug. Er

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