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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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hatte wieder ein Hawaiihemd an, diesmal eins mit Papageien, und arbeitete an einem Tisch in der hintersten Ecke. Als Bosch auf ihn zuging, sah er, dass er zwei Holzkisten mit Knochen vor sich stehen hatte. In einer davon war ein Schädel.
    »Detective Bosch, wie geht’s?«
    »Ich kann nicht klagen. Was ist das?«
    »Das ist, wie Sie sicher selbst sehen, ein menschlicher Schädel. Er wurde zusammen mit anderen menschlichen Knochen vor zwei Tagen aus dem Asphalt geborgen, der an sich schon vor dreißig Jahren ausgegraben wurde, um Platz für dieses Museum zu schaffen. Man hat mich gebeten, mir die Knochen mal anzusehen, bevor sie den Fund bekannt geben.«
    »Das verstehe ich nicht. Ist der Schädel … alt oder … von vor dreißig Jahren?«
    »Oh, er ist sogar ziemlich alt. Er wurde mit der Kohlenstoffmethode auf siebentausend vor Christus datiert.«
    Bosch nickte. Der Schädel und die Knochen in der anderen Kiste sahen aus wie Mahagoni.
    »Sehen Sie«, sagte Golliher und hob den Schädel aus der Kiste.
    Er drehte ihn so, dass Bosch den Hinterkopf sehen konnte, und kreiste mit dem Finger um eine Sternfraktur am Scheitel des Schädels.
    »Kommt Ihnen das bekannt vor?«
    »Eine Folge brutaler Gewaltanwendung?«
    »Richtig. Ziemlich genau wie in Ihrem Fall. Nur damit Sie mal sehen.«
    Er legte den Schädel vorsichtig in die Kiste zurück.
    »Damit ich was sehe?«
    »Dass sich die Welt nicht großartig verändert hat. Diese Frau – zumindest glauben wir, es war eine Frau – wurde vor neun tausend Jahren umgebracht. Wahrscheinlich wurde ihre Leiche in die Teergrube geworfen, um das Verbrechen zu vertuschen. Die menschliche Natur, sie ändert sich nicht.«
    Bosch sah den Schädel an.
    »Sie ist nicht die erste.«
    Bosch blickte zu Golliher auf.
    »Neunzehnhundertvierzehn wurden im Teer die Knochen – ein vollständigeres Skelett – einer anderen Frau gefunden. Sie hatte an derselben Stelle des Schädels dieselbe Sternfraktur. Mithilfe der Kohlenstoffmethode war ihr Alter auf neuntausend Jahre datiert worden. Derselbe zeitliche Rahmen wie bei ihr.«
    Er deutete mit dem Kopf auf den Schädel in der Kiste. »Und was wollen Sie damit sagen, Doc? Dass vor neuntausend Jahren ein Serienmörder sein Unwesen trieb?«
    »Das lässt sich leider nicht sagen, Detective Bosch. Alles, was wir haben, sind die Knochen.«
    Bosch blickte wieder auf den Schädel hinab. Er dachte an das, was Julia Brasher über seinen Job gesagt hatte: dass er das Böse aus der Welt entfernte. Was sie nicht wusste, war etwas, das ihm schon viel zu lange klar war. Dass das wahre Böse niemals aus der Welt entfernt werden konnte. Bestenfalls watete er mit zwei undichten Eimern in die dunklen Wasser des Abgrundes.
    »Aber Sie haben gerade andere Dinge im Kopf«, sagte Golliher und riss Bosch aus seinen Gedanken. »Haben Sie die Unterlagen aus dem Krankenhaus?«
    Bosch stellte seine Aktentasche auf den Arbeitstisch und öffnete sie. Er reichte Golliher einen Ordner. Dann zog er aus einer Tasche den Packen mit Fotos, die er und Edgar von Sheila Delacroix geborgt hatten.
    »Ich weiß nicht, ob Sie mit denen was anfangen können«, sagte er. »Aber das ist der Junge.«
    Golliher nahm die Fotos und sah sie rasch durch. Bei einer gestellten Porträtaufnahme von Arthur Delacroix mit Sakko und Krawatte hielt er inne. Er ging zu einem Stuhl, über dessen Lehne ein Rucksack hing. Er zog seinen eigenen Ordner heraus und kam damit an den Arbeitstisch zurück. Er schlug den Ordner auf und nahm eine 18x24-Vergrößerung des Schädels aus der Wonderland Avenue heraus. Eine Weile hielt er die Fotos von Arthur Delacroix und dem Schädel nebeneinander und studierte sie.
    Schließlich sagte er: »Das Jochbein und die Augenbrauenpartie sehen ähnlich aus.«
    »Ich bin kein Anthropologe, Doc.«
    Golliher legte die Fotos auf den Tisch. Dann fuhr er mit dem Finger über die linke Augenbraue des Jungen und an der Außenseite des Auges nach unten.
    »Die Brauenpartie und die äußere Augenhöhle, sie sind auf dem geborgenen Exemplar breiter als üblich. Wenn wir das Foto des Jungen ansehen, stellen wir fest, dass die Anordnung seiner Gesichtszüge mit dem übereinstimmt, was wir hier sehen.«
    Bosch nickte.
    »Sehen wir uns mal die Röntgenaufnahmen an«, schlug Golliher vor. »Wir haben einen Lichtkasten hier.«
    Golliher packte die Ordner zusammen und führte Bosch an einen anderen Arbeitstisch, in dessen Platte ein Lichtkasten eingelassen war. Er öffnete die Krankenhausakte, nahm

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