Kein Engel so rein
wegkroch, hielt er kurz inne, um ihr Fußgelenk zu packen und zu drücken.
»Julia, du schaffst das schon.«
»Julia?«, sagte der zweite Sanitäter, als er sich mit einem großen Erste-Hilfe-Koffer neben sie kniete.
»Julia.«
»Okay, Julia«, sagte der Sanitäter. »Ich bin Eddie, und das da ist Charlie. Wir kriegen Sie wieder hin. Wie Ihr Kollege gerade gesagt hat, Sie schaffen es. Aber Sie müssen tapfer sein. Sie müssen es wollen, Julia. Sie müssen kämpfen.«
Sie sagte etwas, was von der Maske verschluckt wurde. Nur ein Wort, aber Bosch glaubte, es zu verstehen. Taub.
Die Sanitäter begannen mit Stabilisierungsmaßnahmen, wobei der, der Eddie hieß, die ganze Zeit auf sie einsprach. Bosch stand auf und ging zu Stokes. Er zog ihn hoch, sodass er stand, und schob ihn von Julia und den Sanitätern fort.
»Meine Rippen sind gebrochen«, klagte Stokes. »Ich brauche die Sanitäter auch.«
»Glaub mir, Stokes, gegen gebrochene Rippen kann man nichts tun. Also halt gefälligst das Maul.«
Zwei Polizisten in Uniform kamen auf sie zu. Bosch erkannte die zwei Kollegen Julias wieder, die sich vor ein paar Tagen im Boardner’s mit ihr hatten treffen wollen. Freunde von ihr.
»Wir bringen ihn für Sie auf die Station.«
Bosch schob Stokes, ohne stehen zu bleiben, an ihnen vorbei.
»Nein, er gehört mir.«
»Aber Sie müssen auf die OIS-Leute warten, Detective Bosch.«
Sie hatten Recht. Das Officer Involved Shooting-Team würde jeden Moment eintreffen und Bosch als Hauptzeugen vernehmen. Aber er war nicht bereit, Stokes jemand zu überlassen, dem er nicht vorbehaltlos vertraute.
Er führte Stokes die Rampe hinauf, dem Licht entgegen.
»Jetzt hör mal gut zu, Stokes. Willst du am Leben bleiben?«
Der jüngere Mann antwortete nicht. Wegen seiner Rippenverletzung ging er mit weit vornüber gebeugtem Oberkörper. Bosch tippte leicht gegen die Stelle, wo ihn Edgewood getreten hatte. Stokes stöhnte laut auf.
»Hast du mir zugehört?«, fragte Bosch. »Willst du am Leben bleiben?«
»Ja! Ich will am Leben bleiben.«
»Dann hör mir gut zu. Ich bringe dich jetzt in einen Raum, und du redest mit niemand außer mir. Kapiert?«
»Ja, kapiert. Aber sorgen Sie bloß dafür, dass die mir nicht weh tun. Ich habe nichts getan. Ich habe keine Ahnung, was da unten eigentlich passiert ist, Mann. Sie hat zu mir gesagt, stell dich an die Wand, und ich habe getan, was sie gesagt hat. Ich schwöre, alles, was ich getan habe, war –«
»Halt’s Maul!«, knurrte Bosch.
Weitere Polizisten kamen die Rampe herunter, und er wollte bloß Stokes hier rausschaffen.
Als sie ans Tageslicht kamen, sah Bosch Edgar auf dem Bürgersteig stehen. Er sprach in sein Handy und winkte mit der anderen Hand einen Krankenwagen in die Tiefgarage. Bosch schob Stokes auf ihn zu. Als sie näher kamen, machte Edgar das Handy aus.
»Ich habe gerade mit Bullets telefoniert. Sie ist unterwegs hierher.«
»Klasse. Wo ist dein Auto?«
»Noch in der Waschanlage.«
»Dann hol es. Wir bringen Stokes in die Station.«
»Harry, wir können den Schauplatz einer …«
»Du hast doch gesehen, was Edgewood getan hat. Wir müssen diesen Arsch hier an einen sicheren Ort bringen. Hol deinen Wagen. Wenn uns deshalb jemand Ärger macht, nehme ich es auf meine Kappe.«
»Alles klar.«
Edgar lief in Richtung Waschanlage los.
Bosch sah an der Ecke des Wohnblocks einen Laternenpfahl. Er führte Stokes darauf zu und nahm ihm kurz die Handschellen ab, um seine Arme darum zu legen und dann wieder festzuketten.
»Warte hier«, sagte er.
Dann trat er zur Seite und strich sich mit der Hand durchs Haar.
»Was zum Teufel ist da unten passiert?«
Er merkte erst, dass er laut gesprochen hatte, als Stokes die Frage beantwortete und losstammelte, er hätte nichts getan.
»Sei still«, sagte Bosch. »Ich hab nicht mit dir geredet.«
32
Bosch und Edgar führten Stokes durch den Bereitschaftsraum und den kurzen Flur hinunter, der zu den Verhörzimmern führte. Sie brachten ihn in Zimmer 3 und ketteten ihn mit Handschellen an den Stahlring, der in der Mitte des Tisches festgeschraubt war.
»Wir kommen gleich wieder«, sagte Bosch.
»Hey, Mann, hier drinnen können Sie mich nicht lassen«, begann Stokes. »Die kommen hier rein, Mann.«
»Außer mir kommt hier niemand rein«, sagte Bosch. »Bleib einfach sitzen.«
Sie verließen den Raum und schlossen die Tür ab. Bosch ging zum Tisch des Morddezernats. Der Bereitschaftsraum war leer. Wenn auf einen Cop aus der
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