Kein Engel so rein
vorschlagen.«
Stokes blickte zu Bosch auf.
»Erinnerst du dich noch an den kleinen Tritt in die Rippen, den du da vorhin gekriegt hast? Wir machen Folgendes. Du vergisst das Ganze und trägst es wie ein Mann, und ich vergesse, dass du mir dieses Dreckszeug ins Gesicht gesprüht hast.«
»Meine Rippen sind gebrochen, Mann.«
»Meine Augen brennen noch, Mann. Das war irgendein Reinigungsmittel. Daraus macht der Staatsanwalt schneller Körperverletzung bei einem Polizisten, als du in Corcoran von fünf bis zehn zählen kannst. Du weißt doch noch, wie es im Cork war, oder?«
Das ließ Bosch eine Weile wirken.
»Also, was ist? Gilt unsere Abmachung?«
Stokes nickte, aber er sagte: »Was macht das jetzt noch für einen Unterschied? Sie werden sagen, dass ich auf sie geschossen habe. Ich –«
»Ich weiß, dass du es nicht warst.«
Bosch sah einen Funken Hoffnung in Stokes’ Augen zurückkehren.
»Und ich werde ihnen genau erzählen, was ich gesehen habe.«
»Okay.«
Stokes’ Stimme war kaum mehr als ein Hauchen.
»Dann lass uns jetzt ganz von vorn anfangen. Warum bist du abgehauen?«
Stokes schüttelte den Kopf.
»Das ist doch normal, Mann. Ich haue ab. Ich habe gesessen, und Sie sind der Bulle. Da haue ich ab.«
Bosch merkte, dass in dem ganzen Durcheinander niemand daran gedacht hatte, Stokes zu durchsuchen. Er forderte ihn auf aufzustehen, was wegen der Handschellen nur ging, wenn er sich über den Tisch beugte. Bosch stellte sich hinter ihn und begann, seine Taschen zu durchsuchen.
»Hast du irgendwelche Spritzen?«
»Nein, Mann, keine Spritzen.«
»Gut, ich möchte mich nämlich nicht stechen. Wenn ich mich steche, sind alle Abmachungen null und nichtig.«
Während er Stokes filzte, behielt er die Zigarette zwischen den Lippen. Der Rauch stach in seinen ohnehin schon brennenden Augen. Bosch holte eine Geldbörse, einen Schlüsselbund und eine Rolle Geldscheine heraus, insgesamt 27 Dollar in Ein-Dollar-Scheinen. Stokes’ Trinkgelder dieses Tages. Sonst hatte er nichts in den Taschen. Falls Stokes Drogen zum Verkauf oder persönlichen Gebrauch bei sich gehabt hatte, hatte er sie bei seinem Fluchtversuch weggeworfen.
»Sie werden das Gelände mit Hunden absuchen«, sagte Bosch. »Wenn du irgendwelche Drogen weggeworfen hast, werden sie sie finden, und dann kann ich nichts für dich tun.«
»Ich hab nichts weggeworfen. Wenn sie was finden, haben sie es mir untergeschoben.«
»Klar. Genau wie bei O. J.«
Bosch setzte sich zurück.
»Was war das Erste, was ich zu dir gesagt habe? Ich habe gesagt: ›Ich will nur mit dir reden.‹ Es war die Wahrheit. All das hier …«
Bosch machte eine weitausholende Geste.
»Das alles hätte sich vermeiden lassen, wenn du auf mich gehört hättest.«
»Cops wollen nie reden. Sie wollen immer mehr.«
Bosch nickte. Der Durchblick ehemaliger Häftlinge hatte ihn noch nie überrascht.
»Erzähl mir, was du über Arthur Delacroix weißt.«
Verwirrung zog Stokes’ Augen zusammen.
»Was? Wer?«
»Arthur Delacroix. Dein Skateboard-Kumpel. Aus der Miracle-Mile-Zeit. Erinnerst du dich noch?«
»Meine Fresse, Mann, das ist …«
»Lange her. Ich weiß. Darum frage ich ja auch.«
»Was soll mit ihm sein? Den gibt es schon lange nicht mehr.«
»Erzähl mir von ihm. Erzähl mir, wann er verschwunden ist.«
Stokes blickte auf seine angeketteten Hände und schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist lange her. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
»Versuch’s. Warum ist er verschwunden?«
»Keine Ahnung. Er hatte einfach die Schnauze voll von dieser Scheiße, da ist er eben ausgerissen.«
»Hat er dir erzählt, dass er abhauen wollte?«
»Nein, Mann, er ist einfach abgehauen. Eines Tages war er einfach weg. Und ich hab ihn nie wieder gesehen.«
»Von was für einer Scheiße?«
»Wie bitte?«
»Du hast gesagt, er hatte die Schnauze voll von dieser Scheiße und ist ausgerissen. Diese Scheiße. Was meinst du damit?«
»Ach so, na ja, diese ganze Scheiße in seinem Leben eben.«
»Hatte er zu Hause Ärger?«
Stokes lachte. Er äffte Bosch nach.
»›Hatte er zu Hause Ärger?‹ Mann, wer hatte den nicht?«
»Wurde er zu Hause misshandelt – körperlich misshandelt? Das ist, was ich meine.«
Wieder Gelächter.
»Wer wurde das nicht? Mein Alter, der hat mir lieber eine gescheuert, als über irgendwas mit mir zu reden. Als ich zwölf war, hat er mal mit einer vollen Bierdose nach mir geworfen – und getroffen. Bloß weil ich einen Taco gegessen
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