Kein Engel so rein
Stokes war, konnte sein Ruf sie ablenken und Stokes eine Gelegenheit verschaffen, zu fliehen oder sie anzugreifen.
Als Bosch sich unter der Rampe hindurch duckte, sah er die beiden. Sie waren keine fünfzehn Meter von ihm entfernt. Stokes stand mit gespreizten Armen und Beinen an der Rückwand der Garage. Brasher hatte ihm eine Hand auf den Rücken gedreht und drückte ihn gegen die Wand. Ihre Taschenlampe lag neben ihrem rechten Fuß auf dem Boden, und ihr Lichtstrahl fiel auf die Wand, an der Stokes stand.
Es war wie nach Lehrbuch. Bosch spürte, wie ein Gefühl der Erleichterung seinen Körper durchströmte, und fast im gleichen Moment wurde ihm bewusst, es war Erleichterung darüber, dass ihr nichts zugestoßen war. Er richtete sich aus seiner leicht geduckten Haltung auf und näherte sich ihnen direkt von hinten mit gesenkter Waffe.
Er hatte nur ein paar Schritte gemacht, als er sah, wie Brasher Stokes’ Arm losließ, von ihm zurücktrat und dabei nach links und rechts schaute. Das, dachte Bosch sofort, war falsch. Es verstieß gegen alles, was man in der Ausbildung lernte. Es verhalf Stokes zu einer Möglichkeit, einen weiteren Fluchtversuch zu machen, falls er das wollte.
Dann schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Bosch wollte ihr zurufen, doch plötzlich füllte sich die Tiefgarage mit dem Mündungsblitz und dem ohrenbetäubenden Knall eines Schusses. Brasher ging zu Boden, Stokes blieb stehen. Das Echo des Knalls hallte von den Betonwänden und verschleierte seine Herkunft.
Bosch hatte nur einen Gedanken: Wo ist die Waffe?
Er ging in die Hocke und hob seine Pistole. Er wollte gerade den Kopf drehen, um nach der Schusswaffe Ausschau zu halten, als er sah, wie sich Stokes von der Wand abwandte. Im selben Moment kam Brashers Arm vom Boden hoch. Ihre Waffe war direkt auf Stokes gerichtet.
Auch Bosch richtete seine Glock auf Stokes.
»Keine Bewegung!«, schrie er. »Keine Bewegung!«
Im selben Moment hatte er sie bereits erreicht.
»Nicht schießen, Mann«, schrie Stokes. »Nicht schießen!«
Bosch hielt den Blick unverwandt auf Stokes gerichtet. Seine brennenden Augen verlangten nach Erleichterung, aber er wusste, jetzt konnte schon ein Blinzeln ein verhängnisvoller Fehler sein.
»Runter! Auf den Boden. Los!«
Stokes legte sich flach auf den Bauch und streckte die Arme im rechten Winkel von sich. Bosch stieg über ihn und legte ihm mit einem raschen Bewegungsablauf, den er schon tausendmal ausgeführt hatte, Handschellen an.
Dann steckte er seine Waffe in das Holster zurück und wandte sich Brasher zu. Ihre weit aufgerissenen Augen wanderten ständig von einer Seite auf die andere. Ihr Hals war blutbespritzt, die Brust ihres Uniformhemds dunkel verfärbt. Er kniete neben ihr nieder und riss ihr Hemd auf. Aber sie war so voller Blut, dass er eine Weile brauchte, um die Wunde zu finden. Die Kugel war in ihre linke Schulter eingedrungen, keine zwei Zentimeter neben dem Klettschulterriemen ihrer kugelsicheren Weste.
Das Blut strömte ungehindert aus der Wunde, und Bosch konnte die Farbe aus Brashers Gesicht weichen sehen. Ihre Lippen bewegten sich, brachten aber keinen Laut hervor. Er blickte sich nach etwas um, mit dem er die Blutung stoppen könnte, und sah einen Putzlumpen aus Stokes’ Gesäßtasche stehen. Er riss ihn heraus und drückte ihn auf die Wunde. Brasher stöhnte vor Schmerzen.
»Julia, das wird jetzt ziemlich weh tun, aber ich muss die Blutung stoppen.«
Mit einer Hand nahm er seine Krawatte ab und zog sie unter ihrer Schulter durch. Dann verknotete er sie gerade so fest, dass die provisorische Kompresse nicht verrutschen konnte.
»Okay, halt durch, Julia.«
Er nahm sein Funkgerät vom Boden und schaltete hastig auf den Hauptkanal.
»Zentrale, Officer verletzt, unteres Geschoss Tiefgarage La Brea Park Apartments, Ecke La Brea und Santa Monica. Wir brauchen SOFORT einen Notarzt! Verdächtiger in Haft. Zentrale, bitte bestätigen.«
Er wartete, wie es ihm vorkam, eine Ewigkeit, bis sich die Zentrale meldete, um ihm zu sagen, sein Funkspruch käme nur bruchstückhaft rein und er solle ihn wiederholen. Bosch drückte auf den Rufknopf und brüllte: »Wo bleibt mein Notarzt? Officer VERLETZT!«
Er schaltete auf den taktischen Kanal.
»Edgar, Edgewood, wir sind im unteren Geschoss der Tiefgarage. Brasher ist verletzt. Ich habe Stokes unter Kontrolle. Wiederhole: Brasher ist verletzt.«
Er ließ das Funkgerät fallen und rief Edgars Namen, so laut er konnte. Dann zog er seinen
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