Kein Entkommen
»Nein«, sagte er. »Ich will nach Hause.«
»He, keine Sorge«, erwiderte ich und deutete zur anderen Seite des Parks. »Weißt du doch. Wir fahren nur mit den Karussells da drüben.«
Im Park wimmelte es von Menschen. Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Besuchern waren unterwegs. Eltern mit kleinen und größeren Kindern. Großeltern mit ihren Enkeln im Schlepptau oder umgekehrt.
»Ich glaube, da drüben ist der Eisstand«, sagte ich und schob den Buggy an. »Na, wie wär’s mit ein oder zwei Kugeln?«
Ethan schwieg.
»He, was ist los? Sag bloß, du willst kein Eis?«
Als er immer noch keine Antwort gab, blieb ich stehen, um einen Blick auf ihn zu werfen. Seine Augen waren geschlossen.
Unser kleiner Mann war eingeschlafen.
»Ich fasse es nicht«, murmelte ich. Wir waren noch mit keinem einzigen Karussell gefahren, und er befand sich bereits im Reich der Träume.
»Alles okay?«
Ich wandte mich um. Jan war wieder da. Der Schweiß lief ihr von der Stirn. Über ihrer Schulter hing der Rucksack.
»Er ist eingenickt«, sagte ich.
»Ist nicht wahr«, sagte sie.
»Wahrscheinlich ist er ohnmächtig geworden, als er das Ding da drüben gesehen hat.« Ich deutete auf die Achterbahn.
»Ich habe einen Stein im Schuh«, sagte Jan und navigierte den Buggy zu einer kleinen Betonmauer vor einer Wiese. Sie hockte sich darauf und zog den Buggy zu sich heran.
»Wollen wir uns ein Eis teilen?«, fragte sie. »Ich bin völlig ausgedörrt.«
Ich wusste, was sie dachte. Jetzt hatten wir die Gelegenheit, etwas exklusiv für uns zu genießen. Ethan würde noch jede Menge Junkfood bekommen, bevor der Tag zu Ende war, aber dieses Eis wäre nur für uns allein.
»Mit Schokoglasur?«, fragte ich.
»Überrasch mich«, sagte sie und hob den linken Fuß auf ihr rechtes Knie. »Brauchst du Geld?«
»Hab ich dabei«, sagte ich und klopfte mir auf die Gesäßtasche. Ich wandte mich ab und ging zum Eisstand, wo es dieses weiche weiße Zeug aus der Maschine gab. Ganz bestimmt nicht mein Lieblingseis – mir ist richtiges Eis lieber als dieses künstliche –, doch immerhin gelang es dem jungen Mädchen, das meine Bestellung entgegennahm, die Tüte perfekt zu drehen und sie anschließend auf meinen Wunsch mit Schokolade zu überziehen, die das Eis wie eine zweite Haut umschloss.
Ganz vorsichtig knabberte ich an der Schokolade, bereute es aber sofort. Ich hätte Jan den ersten Bissen überlassen sollen. Egal, ich würde es während der nächsten Tage wiedergutmachen, am Montag Blumen mit nach Hause bringen, einen Babysitter organisieren und sie während der Woche zum Essen ausführen. Was Jan gerade durchmachte – vielleicht war es meine Schuld. Ich war nicht aufmerksam genug gewesen. Hatte mich nicht genug angestrengt. Ich wollte, dass Jan endlich wieder auf die Beine kam. Wir würden ihre Probleme überwinden und unsere Ehe gemeinsam wieder ins Gleis bringen.
Als ich mich umdrehte, sah ich Jan plötzlich auf mich zukommen. Obwohl sie nach wie vor ihre Sonnenbrille trug, sah ich, dass sie völlig aufgelöst war. Eine Träne lief ihr über die Wange, und das Entsetzen stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Wo war der Buggy? Ich warf einen Blick zu der Stelle, wo sie eben noch gesessen hatte.
Sie lief auf mich zu und ergriff mich an den Armen.
»Ich habe nur eine Sekunde nicht hingesehen«, stieß sie hervor.
»Was?«
»Mein Schuh.« Ihre Stimme zitterte. »Ich … ich wollte doch nur den Stein rausholen, und dann … Als ich mich umgesehen habe, war Ethan plötzlich nicht mehr …«
»Jan, was ist denn los?«
»Irgendjemand hat ihn mitgenommen«, erklärte sie mit brüchiger Stimme. »Als ich nach ihm gesehen habe, war er auf einmal …«
Ich schob mich bereits an ihr vorbei und ging im Eiltempo zu der Stelle, wo ich sie und Ethan zuletzt gesehen hatte.
Der Buggy war verschwunden.
Ich stieg auf die kleine Mauer und ließ den Blick über die Leute schweifen.
Bloß eine Verwechslung, dachte ich. Nur keine Panik. Ethan ist jede Sekunde wieder da. Irgendeine Mutter hat aus Versehen den falschen Buggy mitgenommen.
»Ethan!«, rief ich. Menschen strömten an mir vorbei, ohne mir Beachtung zu schenken. »Ethan!«, rief ich abermals.
Jan sah zu mir auf. »Siehst du ihn irgendwo?«
»Wie ist das möglich?«, platzte ich heraus. »Wie konnte das passieren?«
»Habe ich doch gerade gesagt. Ich habe einen Moment nicht aufgepasst, und …«
»Wie konntest du das tun? Wie konntest du ihn aus den Augen
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