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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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Zahnreihen oder bedauernswerten Individuen, denen mitten aus dem Bauch ein Stummel herauswächst, von regelrechten Zyklopen, von Augen in den Nasenlöchern eines Säuglings. Alle nur vorstellbaren, vor allem aber unvorstellbaren Missbildungen, die die Natur hervorgebracht hat und die seit zwei Jahrhunderten zusammengetragen wurden. Auch der Werwolf aus meinem Buch findet sich dort. Und glauben Sie mir, der Anblick dieser winzigen Haarzwiebeln unter der Innenseite der Epidermis ist im Vergleich mit dem Rest dieses Horrorkabinetts nicht besonders eindrucksvoll …«
    Der Saal war geschockt. Boz fuhr fort: »Aber meiner Ansicht nach übersehen Sie das wirklich Interessante in Die Bestimmung der Arten : Das Opfer des Buchs ist der Kurator eines imaginären Museums, das große Ähnlichkeit mit denen in Paris oder Chicago hat. Man findet ihn tot in seinem Labor auf. Mit tiefen Bisswunden am ganzen Körper. Nachdem man Abdrücke der Bisse genommen und sie untersucht hat, stellt sich heraus, dass sie alle von diesen Monsterköpfen stammen, die in Gefäßen mit Formaldehydlösungen schwimmen. Manche Exponate stammen noch aus der Revolution. Der arme Kurator wurde von mehr als zwanzig verschiedenen Kiefern gemartert … Keiner davon war menschlich im gewöhnlichen Sinn des Wortes. Kein Speichel. Nichts.«
    Niemand wagte den Autor zu fragen, wie er es angestellt hatte, diese Episode authentisch zu gestalten. Und jeder malte sich widerwärtige Szenen aus.
    Boz lächelte. Offensichtlich genoss er es, seine Meisterleistungen so vor einem Auditorium zukünftiger Schriftsteller auszubreiten.
    Der zarte Liebermann stellte eine Frage, die wieder zum Thema zurückführte.
    »In Ihrem Roman Der Bienenzüchter beginnen Sie die Geschichte mit einer spektakulären Szene, in der ein Leichnam im Innern eines riesigen Bienenstocks gefunden wird. Sie geben zu verstehen, dass die Bienen sich auf ihn gestürzt und seinen Körper als Gerüst zum Bau ihres Stocks benutzt haben.«
    »Ja.«
    Liebermann hob die Arme zum Himmel.
    »Wollen Sie uns das bitte erklären?«
    »Doktor Kevin McGretten von der Universität von Edinburgh hat 1997 die DNA-Sequenz der Biene und die drei Gene entschlüsselt, die die Gestaltung ihres natürlichen Lebensraums steuern, darunter auch dieses unglaubliche Netzwerk symmetrischer Waben, das jedermann kennt. Meine Hauptperson, ein etwas schwachsinniger Entomologe, verfällt auf die dumme Idee, diese Sequenz zu verfälschen. Das Ergebnis ist, dass die Bienen mutieren und nun einen lebendigen Körper als Grundstein zum Bau ihrer Stöcke benötigen, die von nun an viel riesiger sind.«
    »Aber das ist Science Fiction!«
    »Gewiss. Aber Sie richten Ihr Augenmerk nicht auf den Punkt, an dem der Autor glaubhaft sein muss!«
    »Und der wäre?«
    Boz lächelte kaum verhüllt.
    »Der Zustand des Leichnams im Innern des Bienenvolks. Wie sieht ein Mann aus, der seit Monaten in einer derartigen Menge von Zucker und Wachs liegt? Inwiefern verändert sich dadurch der Prozess der Zersetzung?«
    Ein Student, der den Roman gelesen hatte, antwortete: »Er verwest nicht.«
    »Genau!«, stieß Boz aus. »Er schwillt sogar an. Die Elastizität der Gewebe ist unglaublich erhöht. Der Zucker verdickt die Haut und verhindert, dass sie reißt.«
    Liebermann ergriff das Wort.
    »Und was haben Sie getan, um das mit solcher Bestimmtheit sagen zu können? Haben Sie einen Unglücklichen wochenlang in einen Bottich voll Honig getaucht?«
    Die Studenten lachten wieder.
    Franklin nicht.
    Der Anflug eines Lächelns streifte Boz’ Gesicht.
    »Keine schlechte Idee!«, versetzte er. »Allerdings müsste man dazu … genügend Honig finden! Nein, im Ernst, vor einigen Jahren kam bei einem Unfall in einer Schnapsbrennerei in Kanada ein Mensch ums Leben. Der Arme fiel in ein Becken, in dem die Maische verzuckert wird. Ich habe die Fotos des nach sechs Tagen gefundenen Leichnams untersucht. Das hat mir völlig gereicht.«
    Boz hatte eine Begabung dafür, seine Zuhörer in Bann zu schlagen.
    »Ich finde Sie außergewöhnlich!«
    Es war ein Junge hinten im Raum, der aufgestanden war und das gesagt hatte. Oscar Stapleton.
    »Es ist wahr, Sie haben sich für eine originelle und sehr riskante Haltung entschieden. Ich war zunächst von der Ausführlichkeit Ihrer Schilderungen abgestoßen, nun aber sehe ich sie mit anderen Augen. Sie sind fabelhaft!«
    »Danke, mein Junge.«
    Nichts hätte in seinen Ohren süßer geklungen.
    Doch ein anderer wandte ein: »Aber bei

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