Kein Entrinnen
Junge nicht bei seiner Familie in Kentucky angekommen war. Die Eltern hatten am Samstag angerufen, um ihr Erstaunen zu äußern; am Sonntagmorgen war es tiefe Besorgnis.
Lewis Emerson musste seinen Aufenthalt in Maine abbrechen und nach Durrisdeer zurückkehren, um die Krise zu meistern. Er erfuhr, dass Hornbill bei den Prüfungen am Freitag keine einzige Arbeit abgegeben hatte.
Die Schlinge um den Klub der Schreiber zog sich zu.
Am Montag, dem ersten Ferientag, beschloss der Student Oscar Stapleton, der Anführer des Klubs, sich gewaltsam Zutritt zu Iacobs Bibliothek im Schloss zu verschaffen. Der Einbruch mithilfe eines Reifenmontiereisens würde zwar Spuren hinterlassen, doch die Zeit und die Umstände drängten zur Eile. Dort wühlte Stapleton in den alten Bauplänen des Schlosses, in den Skizzen und exzentrischen Gestaltungswünschen, die Iacobs aufbewahrt hatte.
»Hornbill hat bestimmt einen unterirdischen Gang freigelegt, den wir nicht kennen!«, hatte er zu seinen Freunden gesagt. »Und dann hat er nicht mehr herausgefunden. Sonst wäre er längst wieder aufgetaucht.«
»Oder er nimmt uns auf den Arm«, schlug Jonathan Marlowe vor, der Zweite im Klub. »Manchmal glaubt man, dass man mit der Katze spielt, und in Wirklichkeit macht sie sich über einen lustig. Wenn es so ist, dann hat er uns jedenfalls ordentlich vorgeführt.«
»Er wäre geradezu ein Genie!«, rief Daniel Liebermann aus, der Dritte im Bunde.
Die Idee war so gut wie jede andere.
Aber Macaulay Hornbill war kein Genie.
Nur ein Junge, der Pech gehabt hatte. Oscar Stapleton lag mit seiner Vermutung richtig. Der junge Student hatte in seiner Verzweiflung mit der Faust gegen die Wände gehämmert und um Hilfe geschrien und dabei eine geheime Verbindungstür geöffnet, die noch aus Iacobs Zeiten stammte. Ein komplett neues Labyrinth, in dem er sich hoffnungslos verirrte.
Oscar Stapleton entdeckte diesen Abschnitt dank zweier nicht entschlüsselter Markierungen auf den vergilbten Plänen. Als die drei Mitglieder des Klubs Hornbill endlich fanden, lag er seitlich hingestreckt in völliger Dunkelheit auf dem Boden und leckte die Tropfen auf, die aus einem natürlichen Becken im Fels herabrannen. Er wurde auf der Stelle ohnmächtig, als sie ihn hochhoben.
Nun mussten sie sich nur noch eine Erklärung einfallen lassen.
Es galt schnell zu handeln. Im Schloss erwog man bereits eine Anzeige bei der Polizei, die Familie wollte in Kürze eine Vermisstenmeldung herausgeben. Macaulay Hornbill verbrachte die Nacht von Montag auf Dienstag in der Obhut des Klubs. Halb besinnungslos versprach er ihnen, nichts zu verraten. Er schwor, das Geheimnis des Klubs zu bewahren.
Sollte Hornbill wirklich Wort halten, wurde ihm ein unantastbarer Ehrenplatz in den Reihen des Klubs der Schreiber in Aussicht gestellt.
So traf Hornbill denn am Dienstagmorgen gegen neun Uhr in erbärmlichem Zustand im Schloss ein. Seine Version der Tatsachen lautete, dass er sich am Freitag während des Joggens im Wald abgesondert habe, gestürzt sei und das Bewusstsein verloren habe. Anschließend sei er zwei Tage ohne Orientierung und ohne zu wissen, wohin, umhergeirrt.
Emerson zweifelte an dieser Geschichte.
Die Eltern ebenso.
Die Polizei ebenso.
Kurz nach seinem Wiederauftauchen musste Hornbill sich in der Krankenstation übergeben. Alles, was die drei Mitglieder des Klubs der Schreiber ihm während der Nacht zu essen verabreicht hatten, ergoss sich auf den Linoleumboden. Seine Glaubwürdigkeit war dahin.
Lieutenant Amos Garcia kam höchstpersönlich nach Durrisdeer, nachdem die Familie Anzeige gestellt hatte. Er nahm die Angelegenheit in die Hand.
Dekan Emerson hatte ihn unverzüglich hergebeten und in seinem Büro empfangen. Wie so oft besiegelte ein Umschlag mit grünen Scheinen den Gang der polizeilichen Ermittlungen. Emerson wollte nicht riskieren, dass der gute Ruf seiner Einrichtung Schaden nahm. Er wollte verhindern, dass der Klub, die unterirdischen Gänge, die alten Marotten von Iacobs oder die Gefahren der Universität publik wurden.
Amos Garcia ließ sich bestechen, ohne nach einer Erklärung zu fragen. Es war nicht das erste Mal.
Der Lieutenant sprach mit Hornbill und sie einigten sich auf eine Version. Im Lauf des Tages verfasste er seinen Bericht. Spuren im Wald gefunden, kein Komplott, keine unterlassene Hilfeleistung. Fall abgeschlossen.
7
»Wie haben Sie seine Adresse aufgetrieben?«, fragte der junge Professor.
»Mühsam«, versetzte Stu Sheridan.
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