Kein Entrinnen
»Ben O. Boz ist ein Pseudonym. Sein wahrer Name ist Clark Doornik.«
»Doornik? Klingt nicht so toll … Boz war das Pseudonym, das Charles Dickens anfänglich verwendete. Es gehört schon eine gewisse Unverfrorenheit dazu, es ihm zu klauen.«
»Jedenfalls, dieser Mann, Doornik, besitzt nichts auf seinen eigenen Namen, keine Kreditkarte, keinen Telefonvertrag, keinen Fahrzeugschein, keinen Führerschein, keine Abonnements bei Kabel oder Internetprovidern. Kein identifizierbares Bankkonto. Er ist weder Mitglied eines Rinderschutzvereins noch spendet er für Kriegsveteranen oder die republikanische Partei. Nichts. Diesen Dingen gehen wir in der Regel als Erstes nach, um einem Namen eine Adresse zuzuordnen. Den einfachsten Sachen. Aber hier, totale Pleite! Ich musste mir etwas einfallen lassen und nach einer anderen Lösung suchen, indem ich eine Bekannte um Hilfe bat, die beim Finanzamt arbeitet. Sie besorgte mir einen Auszug seiner Akte für das Steuerjahr 2005. Es war die Fotokopie des Schecks, den er letztes Jahr zur Begleichung seiner Steuerschulden unterzeichnet und abgeschickt hat. Auf dem Scheck stand seine Adresse: 3193, Esquinade Street, Dovington, in Vermont.«
»Kennen Sie Dovington?«
»Ich habe den Namen dieses Nests in meinem ganzen Leben noch nicht gehört …«
Stu Sheridan und Frank Franklin waren im Oldtimer des Colonels unterwegs. Dovington war weniger als zwei Stunden von Concord entfernt. Der Polizist hatte den Professor am Samstagmorgen in Durrisdeer abgeholt. Beide Männer hatten an diesem Tag frei.
Am Abend zuvor hatte Frank schließlich nach fünftägiger Bedenkzeit Sheridans Angebot angenommen. Gut, er würde mit Ben O. Boz sprechen; ja, er würde sein Möglichstes tun, um den Wünschen des Cops zu entsprechen und ihm bei der Lösung des Rätsels der vierundzwanzig zu helfen, dann aber dürfte Sheridan ihm nichts verbergen. Franklin wollte über alles auf dem Laufenden gehalten werden. Wenn der Professor bei einer polizeilichen Ermittlung half, dann musste der Colonel seinerseits zum exklusiven Berater des jungen Schriftstellers werden. Franklin hatte sich in die Arbeit für das seinem Verleger versprochene Buch gestürzt. Sheridan, der den Deal für vorteilhaft hielt, war einverstanden gewesen.
Das Auto rollte auf der 110 nach Westen und erreichte die ersten Hügel der Appalachen. In New Hampshire nannte man dieses Gebiet die Schweiz Amerikas. Es war ein kühler, aber sonniger Tag. Franklin sah, wie die kahleren Berge der Green Mountains von Vermont ins Blickfeld kamen. Bei Springfield nahmen sie die Brücke über den Connecticut und überquerten die Staatsgrenze. Auf Nebenstraßen gelangten sie anschließend in Vermont von einer Schlucht zur nächsten, bis sie das gottverlassene Zentrum des Bezirks von Windsor erreichten.
Dovington. Eine Kleinstadt. Kaum dreitausend Einwohner. Ein Einkaufszentrum. Ein Kino. Ein Baseballfeld. Eine Bar. Eine Bank. Eine Bushaltestelle. Ein stillgelegter Bahnhof. Eine Paketannahmestelle von FedEx.
Aber auch siebenundzwanzig Kirchen …
Kongregationalisten, Baptisten, Evangelisten, Methodisten, Pfingstbewegung, Adventisten, Orthodoxe, Presbyterianer, alle Ismen und sonstigen christlichen Nebenströmungen waren in Dovington, Vermont vertreten. Ein isolierter, strenggläubiger, ländlicher Marktflecken, der einsam in seinem Tal lag.
Ein Schild verkündete gleich bei der Ankunft in der Stadt das Leitthema der Siedlung: Willkommen ihr Männer des Glaubens .
Jemand, der den Teufel im Leib trug, hatte mit rosa Sprayfarbe hinzugefügt: Und ihr Frauen!
Sheridan und Franklin erblickten verblüfft die vielen Kirchtürme, die auftauchten, als sie sich auf der bergigen Straße Dovington näherten. Beide hatten den gleichen Gedanken: »Wenn Boz von hier ist, dann müssen wir herausfinden, welcher Glaubensgemeinschaft er angehört.«
Trotz seiner Vermutungen in Bezug auf den Schriftsteller sah Stu Sheridan nach wie vor keinen Grund, die Sektenhypothese für die vierundzwanzig Leichen zu verwerfen, und eine christliche Sekte würde es ebenso tun wie jede andere.
»Es muss nicht unbedingt ein durchgeknallter Guru mit armseligen Anhängern in safrangelben Umhängen sein, die einen Gott namens Gnu oder Passacaglia anbeten«, sagte Franklin. »Jesus Christus taugt genauso gut dazu.«
Sheridan hatte sich an der ersten Tankstelle an der Rockingham Road einen Stadtplan besorgt. Sie suchten die Esquinade Street.
An der Hausnummer, die Ben O. Boz gehören sollte, sahen
Weitere Kostenlose Bücher