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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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gegenseitig verschlungen, um ein Stück zu ergattern. Das Skelett wurde in alle Richtungen gezerrt. Die Gelenke knirschten, die Fangzähne schlugen in die Knochen. Boz glaubte, er müsse noch eins drauflegen, damit der Horror vollkommen war.
    »Man muss sich das in der Realität vorstellen: das offene Fleisch, das schon schwarz gewordene Blut des Erhängten, das wie Kleister fließt … Und der Geruch! Es stinkt, eine Leiche, die so aufgerissen wird …«
    Die Hunde sprangen hoch und bissen sich fest, blieben manchmal wild um sich schlagend in der Luft hängen, einzig gehalten durch die Kraft ihrer Kiefer. Auf Boz’ Gesicht lag ein widerwärtiges Grinsen, als würde er ein Paar beim Liebesspiel beobachten.
    »Sehen Sie, wozu sie fähig sind? Stellen Sie sich erst Wölfe vor! Mit einem noch stärkeren Instinkt, einem noch ausgeprägteren Blutdurst!«
    Es waren die Zähne und der Unterkiefer des Skeletts, die schließlich als Erste dem Druck des Stricks und der sich zusammenziehenden Schlinge nachgaben. Die Oberkiefer wurden nach oben gezogen und schließlich unter dem Ansturm und dem Gewicht der Tiere ausgerenkt.
    »Ah!«, rief Boz. »Wer hätte das gedacht? Der Kiefer!«
    Er notierte dieses Detail in sein Notizbuch.
    Der Strick hielt bis zuletzt, doch der Gehängte wurde eines Beins und einer Wade samt Fuß beraubt. Der Hals gab nicht im Geringsten nach.
    »Stellen Sie sich die Szene vor: Finstere Nacht, Mondschein, ein Sträfling am Galgen mit einem Glöckchen um den Hals, und der wahnsinnige Lärm, der plötzlich die verängstigte Bevölkerung herbeilockt. Wie? Ist der Tote etwa wieder zum Leben erwacht? Mein Gott … Und dann sehen Sie das! Das ist umwerfend«, sagte Boz. »Ich werde dieses Kapitel gleich nach Ihrem Aufbruch schreiben …«
    Als Franklin wieder klar denken konnte, sagte er sich, dass dieser Typ wirklich verrückt war.
    »Erzählen Sie Ihrem Verleger, was Sie eben gesehen haben«, forderte Boz ihn stolz auf. »Damit haben Sie gewonnen. Er wird mich kennenlernen wollen. Wie Ihre nächsten Leser, Franklin. Hoffen wir es!«
     
    Zehn Minuten später verließ Franklin den Ort, ohne etwas anderes davon gesehen zu haben als das Wohnzimmer und den Keller.
    Er stieg in seinen orangeroten Käfer.
    Boz hatte ihm eine Telefonnummer gegeben, unter der er ihn erreichen konnte.
    Die Sig Sauer war nicht in Aktion getreten, aber mein Gott, was war der junge Professor froh gewesen, dass er sie mitgenommen hatte!
     
    Er kehrte ins Hotel Ascot in der Nähe von Concord zurück, um Bericht zu erstatten. Dort war die neue Einsatzzentrale der FBI-Operation untergebracht. Sheridan war bereits anwesend. Wie auch Ike Granwood. Der Oberchef wich Melanchthon nicht mehr von der Seite, seitdem sie einen bedeutenden Budgetzuschuss und die Bereitstellung von zehn zusätzlichen Kräften aus ihm herausgeleiert hatte, um für Franklins Treffen gewappnet zu sein.
    Übereinstimmend wurde beschlossen, alle Forderungen von Boz zu erfüllen: Vertrag mit einem Verleger, Abschlagszahlung, fiktive Autorenliste, alles, was notwendig war, um ihn zur Aufnahme von Gesprächen mit dem Professor zu bewegen. Franklin beschrieb ihnen die Örtlichkeiten, die Fotos an der Wand, den Keller, die entspannte Haltung des Romanschriftstellers, seine Vorliebe für Weinbrand, die nervösen Hunde und das Skelett. Das FBI besaß einen Plan von Boz’ Haus, Melanchthon folgte den Angaben des jungen Mannes und zeigte auf dem Papier darauf.
    Alle fragten sich, ob sich hinter dem Gehängten irgendeine reale Geschichte verbarg und man Grund zur Sorgen haben musste …
    »Wird er jemanden entführen?«
    »Ich weiß es nicht. Schließlich handelt es sich nur um eine Novelle für eine Literaturzeitschrift.«
    Zwei Stunden später verließ Frank in Begleitung Sheridans das Hotel.
    »Und?«, fragte dieser. »Was ist Ihr wahrer Eindruck, abgesehen von den Tatsachen?«
    Der Professor blieb stehen. Ernst.
    »Wissen Sie was? Die Geschichte mit dem Alkohol, die habe ich nicht geglaubt. Das war allzu demonstrativ. Wie die Geschichte mit dem Skelett im Keller. Das alles war lange vor meinem Besuch geplant und genau überlegt.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »All seinem Gerede zum Trotz hat Boz nichts improvisiert. Er spielt schon jetzt ein bestimmtes Spiel mit mir. Die Frage ist nur … was für eines?«

15
    Ben O. Boz saß an seinem Schreibtisch, seine Hände wanderten über die Tastatur des Computers. Er saß unbeweglich und konzentriert mit steifem Rücken da, nur seine

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