Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
Vom Netzwerk:
Augenbrauen zuckten nach oben zum Zeichen seiner Begeisterung oder seiner Verachtung für die eine oder andere Formulierung, die ihm in den Sinn kam.
    Das Büro um ihn herum war in gedämpftes Licht getaucht, ein paar kleine Lampen unter bedruckten Schirmen erhellten es. Alles war still und ruhig. Der Inbegriff einer Schriftstellerklause: das Gehirn rauchte, die Finger flogen dahin, alles Übrige hing gleichsam zeitlos und unbeweglich in der Schwebe.
    Die Wände schmückte kein einziges Buch, sondern eine beeindruckende Sammlung von Schreibmaschinen. Eine sensationelle Kollektion der berühmten Modelle von Royal, Remington oder Underwood. Sagenumwobene Stücke wie eine Blickenscheefer auf lackiertem Holz, eine tragbare Noiseless aus dem Jahr 1923, eine Olivetti M1 und sogar eine Reproduktion des unglaublichen Yetman Transmitting Typewriter von 1908. Mindestens fünfzig Exemplare hingen flach an der Wand.
    Auf zwei Sofas gegenüber dem mit Gas beheizten Kamin schliefen die Hunde des Schriftstellers. Nur das trockene und tonlose Klappern der Tastatur war in der Stille zu hören.
    Boz’ Arbeitstisch war mit Unterlagen übersät: statistische Zahlenreihen über den Prozentsatz der Fettleibigen im Land, nach Regionen aufgeschlüsselt; Berichte für die Branddirektionen über die Verbrennungszeiten bestimmter Materialien; der Vortrag eines Harvard-Professors über die Fett- und Leichenwachsrekorde bei Menschen und zu guter Letzt verschiedene Berichte über die Großbrände, die Kalifornien im vergangenen Sommer heimgesucht hatten.
    Boz schrieb:
    Er entzündete ein Streichholz. Nein. (Löschtaste: tick tick tick …) Er rieb ein Streichholz an. Nein. (Tick tick tick …) Er riss ein Streichholz an. Auch nicht! (Tick tick tick …)
    Er entflammte ein Streichholz …
    Das war’s! So war es klarer.
    Boz beendete seinen Absatz und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Er seufzte. Auf dem Vorsatzblatt seines Manuskripts stand zu lesen: Der Pyromane .
    Es war die zweite zehnseitige Novelle, die er zusammen mit dem Gehängten dem Atlantic Fiction Magazine versprochen hatte.
    Boz holte weitere Dokumente aus der Schublade. Die meisten davon waren Fotos von Orten, an denen die Geschichte spielen sollte. Wenn er schrieb, dass der Baumarkt Home Depot sich in Pensacola an der Ausfahrt der 123. Ost befand und dass das Lager für Benzin und andere leicht entflammbare Materialien an die Abteilung Grillgeräte und Gartenmöbel angrenzte, dann wollte Boz, dass dies bis ins kleinste Detail zutraf.
    Sein Held, der Pyromane, hatte sich soeben einige Materialien in dem Baumarkt besorgt. Er wollte eine neue Mischung von Alkohol und Schwefel ausprobieren, um seine Explosionen noch spektakulärer zu machen. Den letzten Sätzen zufolge hatte der Held erfolgreich einen Versuch in einem Hinterhof absolviert und schwebte nun im siebten Himmel.
    Der Schriftsteller sah auf seine Armbanduhr. Zwanzig Uhr. Er erhob sich aus seinem Sessel und verließ sein Arbeitszimmer, um in die Küche zu gehen. Im ganzen Haus hallte Rachmaninows Toteninsel wider. Der Herr des Hauses, der alleine mit seinen Rottweilern lebte, verabscheute Stille außerhalb seines Arbeitsrefugiums. Ein ausgeklügeltes Netz von Lautsprecherboxen beschallte alle Räume. Ununterbrochen lief eine Musikbox voller Langspielplatten, die mit Werken von Monteverdi bis Britten bestückt war.
    In der Küche schob Boz ein großes Huhn, das er zuvor mit Gewürzen und Sahne präpariert hatte, in den vorgeheizten Ofen. Nachdem das Tier im Herd war, warf er erneut einen Blick auf die Uhr. Er musste noch mehr als eine Stunde totschlagen. Aus einem Schrank holte er den Brenner hervor, der ihm zum Bräunen der Haut von Geflügel und zum Karamellisieren von Früchten diente.
    Er durchquerte das Wohnzimmer und drehte die Lautstärke der Hi-Fi-Anlage deutlich auf. Rachmaninow hatte den Taktstock an Gustav Holst übergeben, dessen Orchesterwerk Uranus, der Magier nun erklang.
    Boz’ Lächeln verkrampfte sich, seine Kiefer waren zusammengebissen und seine linke Hand zuckte leicht. Daumenkrämpfe. Diese Mischung aus Nervosität und Erregung hatte ganz plötzlich von ihm Besitz ergriffen.
    Im Wohnzimmer lag auf einem Beistelltischchen ein Zeitungsausschnitt aus einem Lokalblatt von Montpelier in Vermont, in dem das Verschwinden eines gewissen Jackson Pounds gemeldet wurde. Der Mann, der der Presseerklärung der Polizei zufolge psychisch und emotional sehr angeschlagen war, hatte einen unmissverständlichen

Weitere Kostenlose Bücher