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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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Geplänkel noch eine Weile fort, bis Tabori seinen Teller beiseite schob und die Espressokanne auf den Herd stellte. In wenigen Sätzen erzählte er ihr, was er auch Lepcke berichtet hatte. Lisa hörte zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Nur als er davon sprach, dass er sich gezwungen hatte, die Verkettung von merkwürdigen Umständen zu ignorieren und erstmal seine Ferien zu Ende zu bringen, zog sie fragend die Augenbrauen hoch. Als er dann von dem durch Folter getöteten Oberkommissar berichtete, stieß Lisa überrascht die Luft aus.
    »Das mit dem Selbstmord stand in der Zeitung, aber ohne Namen oder irgendeinen Hinweis darauf, dass es um eine Polizistin ging. Nur dass sich eine junge Frau vor den ICE geworfen hat. Von der anderen Sache habe ich überhaupt nichts gelesen.«
    »Wahrscheinlich gibt es eine Informationssperre, bis sie mehr wissen. Sie ermitteln noch. Und da das Ganze ja aufdem Ausbildungsgelände passiert ist, hat auch die Presse noch nicht unbedingt was davon mitgekriegt.«
    Lisa zog die Unterlippe zwischen die Zähne und starrte vor sich auf die Tischplatte.
    »Aber jetzt du«, sagte Tabori. »Ich muss kapieren, was da los ist. Lepcke war hier und hat dir irgendwelche Fragen gestellt …?«
    Der Kaffee brodelte, zischend entwich heißer Wasserdampf durch den Dichtring, der länger schon ausgetauscht werden musste.
    Lisa deckte ihre Tasse mit der Hand ab, als Tabori ihr einschenken wollte.
    »Ich möchte nicht, danke. – Lass uns da hinfahren!«, sagte sie dann unvermittelt. »Ich erzähl dir auf dem Weg, was ich weiß.«
    Sie stand auf. Gleichzeitig sprangen die beiden Hunde hoch, die schlafend vor dem Sofa gelegen hatten.
    »Ihr könnt mit«, sagte Lisa.
    Die Hunde stürmten schwanzwedelnd zur Tür.
    »Moment mal, wohin?«, fragte Tabori irritiert.
    »Zu der Polizeikaserne, in der die Anwärter für die Hundeführerausbildung untergebracht sind. Ist nicht so weit, du müsstest das Gelände eigentlich kennen.«
    »Ich weiß, wo es ist. Aber was …«
    »Ich will, dass du die Atmosphäre da mitkriegst. Wenn ich dir gleich ein paar Sachen erzählt habe, begreifst du, warum.– Aber du bist dir sicher, dass du dich da einmischen willst? Ich meine, es geht dich nicht wirklich was an, du könntest die Sache mit dem Brief auch einfach vergessen und …«
    »Fahren wir«, sagte Tabori nur und warf sich seine Lederjacke über die Schulter.
    Als Lisa im Frühjahr bei Tabori ins Haus gezogen war, hatte er nicht geahnt, was das für seinen Alltag bedeuten würde. Lisa suchte eine Bleibe für sich und ihre Hunde – und er hatte Platz. Die heruntergekommene Vorstadtvilla, die er unerwartet von einem entfernten Onkel geerbt hatte – drei Zimmer im Erdgeschoss mit Zugang zu dem verwilderten Garten, eine zweite Wohnung darüber mit der Möglichkeit, den Dachboden zu integrieren und auszubauen –, schien wie gemacht dafür zu sein, zwei schrägen Vögeln wie Lisa und ihm ein neues Zuhause zu bieten. Er hatte Lisa kennen gelernt, als sie auf der Suche nach dem Mörder ihres jüngeren Bruders gewesen war und sich mit einer verzweifelten Wut, die schon fast eine selbstmörderische Tendenz ahnen ließ, in eben jenen Fall verstrickte, in dem auch Tabori als verantwortlicher Beamter der Mordkommission ermittelte und der schließlich – ungelöst – das Ende seiner Laufbahn bei der Polizei bedeutete.
    Fast zeitgleich war der Onkel gestorben und Tabori fand sich plötzlich als Hausbesitzer und Privatier wieder, der nun irgendeinen Sinn in sein weiteres Leben bringen musste. Zusätzlich zu dem Haus hatte der Onkel ihm ein Sparguthaben vermacht, das bei vorsichtigem Gebrauch ein paar Jahre reichen würde. Tabori fühlte sich nicht unbedingt wohl in seiner neuen Rolle, aber zunächst hatte es auf der Hand gelegen, Lisa das Erdgeschoss anzubieten, ohne lange über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken. In der ersten Begeisterung über diese für beide Seiten scheinbar befriedigende Lösung hatten sie eine gemeinsame Küche eingerichtet, die der Mittelpunkt ihres neuen Lebensentwurfswerden sollte – zwei getrennte Wohnungen, die genügend Rückzugsmöglichkeiten boten, und die Küche als eine Art sozialer Raum, der den unbedingten Vorsatz unterstreichen sollte, sich nicht vom Rest der Welt abzukapseln, sondern Freunde einzuladen, Gäste zu bewirten, ein offenes Haus für andere schräge Vögel zu bieten.
    Was Tabori dabei unterschätzt hatte, war das Problem der Nähe, vor der sie beide deutlich

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