Kein Erbarmen
zurückschreckten. Theoretisch waren ihre Absprachen klar, bei der zurückliegenden Ermittlung hatten sie kurz eine heftige, wenn auch eher von ihrer beider Einsamkeit und Lisas Verzweiflung geprägte Liebesaffäre gehabt, danach hatten sie nur noch ein einziges Mal miteinander geschlafen. Dann war es einfacher gewesen, sich aus dem Weg zu gehen, als sich in irgendwelchen zweifellos drohenden und aller Wahrscheinlichkeit nach endlosen Beziehungsdiskussionen aufzureiben. Und das »offene Haus« war mehr oder weniger zum Flop geworden, als klar wurde, dass Lisa in ihren Einschätzungen von Taboris Freunden ebenso kompromisslos war, wie die Freunde sie umgekehrt meist schon nach dem ersten Abend im besten Fall als »unhöflich« empfanden, da sie – je nach Stimmung – durchaus auch in der Lage war, sich jeder Form von belanglos dahinplätschernder Kommunikation brüsk zu verweigern.
Das war auch Lepckes Problem mit ihr, und seine Bedenken neulich, sie überhaupt aufzusuchen, waren durchaus nachvollziehbar. Dennoch konnte Lisa auch witzig und locker sein und verfügte über ein Allgemeinwissen, das Tabori häufig genug verblüffte. Aber immer gab es da etwas an Lisa, das wie eine dunkle Wolke über ihr zu schweben schien, dass es mit dem Tod des Bruders zu tun hatte, war Tabori klar, aberer wusste nicht, wie er anders helfen sollte, als einfach da zu sein, wenn sie ihn brauchte.
Dass Lisa darüber hinaus die Arbeit und das Leben mit ihrem Hunderudel über alles andere stellte, war auch für Tabori nicht nur immer noch gewöhnungsbedürftig, sondern teilweise in höchstem Maße anstrengend. Lisas Hunde – durchweg Border Collies – waren allgegenwärtig, zurzeit waren es fünf. Einmal schon hatte es Welpen gegeben, dann war jeder Gang durch den Garten zum Hindernislauf zwischen abgekauten Knochen, zerbissenen Frisbeescheiben und wohlgeformten, aber nichtsdestotrotz unangenehm riechenden Häufchen geworden, von den diversen Pfützen im Treppenhaus ganz zu schweigen.
Doch Lisa bei der Arbeit mit dem Rudel zuzusehen, hatte immer aufs Neue etwas Faszinierendes für Tabori – wenn die Hunde mit ungeteilter Aufmerksamkeit alles daran setzten, jedes Wort, jede Geste von Lisa richtig zu interpretieren und augenblicklich zu befolgen. Sie waren so eindeutig auf Lisa und ihre lobende Zuneigung fixiert, dass es Tabori manchmal regelrecht einen Stich versetzte, der unangenehm nach Eifersucht schmeckte.
Zwei Rüden und eine Hündin waren für die Trümmersuche ausgebildet, die Rüden hatten außerdem verblüffende Erfolge bei der Leichensuche im Wasser. Und das war auch Lisas nicht eben konfliktfreier Kontakt zur Polizei. Zwar arbeitete sie offiziell für das Technische Hilfswerk, aber wann immer es um Wassersuche ging, wurden sie und ihre Hunde als Spezialisten angefordert. Lisas beständiger Ärger dabei war die ihrer Meinung nach völlig unzureichende Ausbildung der polizeieigenen Hunde, die ausschließlich zum öffentlichkeitswirksamenFoto für die Presse mitgebracht wurden und auch zu kaum etwas anderem taugten: »Sie sind bestenfalls für die Rauschgiftsuche geeignet. Alles andere kannst du vergessen.«
Dass sie solche Sätze wiederholt auch vor Ort und gegenüber den anwesenden Journalisten geäußert hatte, hatte ihr nicht gerade Freunde gebracht, vor allem in der entsprechenden Abteilung der Polizei galt sie als »unbequem« und »arrogant«, allein aufgrund des offensichtlichen Erfolgs ihrer Hunde wurde sie nach wie vor dann hinzugezogen, wenn die Polizeihunde längst kläglich versagt hatten.
Rinty und Beago, die beiden Rudelbosse – der eine braunweiß gefleckt, der andere mit der typisch schwarzweißen Zeichnung des Border Collies – sprangen hechelnd in den verbeulten Fiat Ducato, kaum dass Lisa die Schiebetür geöffnet hatte.
»Ich fahre«, erklärte Lisa und kletterte hinter das Lenkrad des Lieferwagens.
»Ich hab nur Kaffee getrunken«, wendete Tabori ein, obwohl er wusste, dass jeder Widerspruch ohnehin zwecklos war.
Es war nur so, dass er sich nicht unbedingt gerne von Lisa kutschieren ließ. Lisas Fahrstil war nicht gerade nervenschonend, sie sah den Lieferwagen eher als willkommene Möglichkeit zum Abbau von Aggressionen, denn als gut drei Tonnen schwere potentielle Gefährdung von anderen Verkehrsteilnehmern. Im Gegenzug machte sich Lisa gerne lustig über Taboris »Rentnerfahrstil«, wie sie es nannte. Und tatsächlich fühlte sich Tabori auf seinem Fahrrad deutlich wohler als hinter irgendeinem
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