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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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Maden wimmelten in den nicht mehr zu identifizierenden Fleischfetzen. Allein der Kopf war noch mehr oder weniger erhalten, nur das rechte Auge war nicht mehr da, das linke blickte starr zur Decke hinauf. Im Nackenbereich war der Schädel aufgebrochen, hier hatte der Fuchs sich seine Nachspeise geholt. Tabori war irritiert, dass er außer am Kopf kaum noch irgendwelche Fellreste entdecken konnte, aber wahrscheinlich hatte der Fuchs alles zusammen hinuntergeschlungen, und das Fell später irgendwo anders wieder herausgewürgt. Frederiks Ende war jedenfalls ganz sicher kein schöner Tod gewesen, Tabori nahm an, dass ihm ein verzweifelter Kampf vorausgegangen war, bei dem Elsbets Dackel wahrscheinlich von vornherein keine Chance gehabt hatte. Die Frage war jetzt nur, ob er es Elsbet überhaupt erzählen sollte. Und wenn ja, wie er es vermeiden konnte, dass sie sofort auf die Idee kam, hier selber hochzusteigen, um Abschied zu nehmen. Den Anblick wollte er ihr gerne ersparen, er wusste, wie sie an Frederik gehangen hatte. Im gleichen Moment erkannte er die einzig mögliche Lösung für sein Problem. So würde Elsbet zumindest etwas haben, für das sie ein verstecktes Grab irgendwo oben im Wald hinter dem Hotel herrichten konnte.
    Tabori richtete sich auf und verließ den Gang auf demselben Weg, auf dem er gekommen war. Er war dankbar für den frischen Wind, der über die Klippe wehte. Er holte mehrmals tief Luft, bevor er die Taschenlampe und den kurzen Klappspaten aus dem Kofferraum des Passats suchte. Wie er gehofft hatte, war der Spaten in eine blaue Mülltüte gewickelt. Die Tüte würde er jetzt für etwas anderes brauchen. Noch einmal stieg er die Treppe zum Bunker hinab, diesmal hatte er sich vorsorglich ein Tuch vor Mund und Nase gebunden. Er setzte den Spaten direkt unter den sauber abgenagten Halswirbeln an, als das Eisen mit einem hässlichen Knacken den Knochen durchtrennte, schloss er nur kurz die Augen, dann schob er Frederiks Kopf in die Mülltüte und verknotete sie.
    Erst jetzt schaltete er die Taschenlampe ein, um den Gang hinter dem Kadaver abzuleuchten. Nach wenigen Metern war die Decke eingestürzt, auf dem Boden lagen scharfkantige Betonbrocken und eine zerbrochene Flasche. Ob die Flecken auf einem der Brocken getrocknetes Blut waren, konnte er nicht mit Sicherheit sagen, nahm es aber an.
    Mit der Fußspitze scharrte er einen zerbrochenen Kugelschreiber unter dem Schutt hervor, bis er die Werbeaufschrift lesen konnte. Er wusste sofort, wo er den Namen des Heimwerkermarktes das letzte Mal gesehen hatte. Mehr brauchte er nicht, das reichte ihm für den Moment. Alles Weitere sollten die Kollegen von der Spurensicherung übernehmen, wie Lepcke das dann mit den dänischen Behörden regelte, würde nicht mehr seine Sache sein.
    Fünf Minuten später saß er wieder im Passat. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach vier. Er hatte seit heute Morgen nichts mehr gegessen, aber fast ein ganzes Päckchen Zigaretten geraucht.Sein Magen rebellierte mit Krämpfen, die in Wellen kamen und gingen.
    Er schob sich die letzte Zigarette aus der Packung zwischen die Lippen, ohne sie anzuzünden. Er war gerade an dem kahlen Baum vorbei, auf dem immer noch der Raubvogel saß, als ihm der Streifenwagen entgegenkam. Tabori machte ein Zeichen, dass er zurücksetzen würde, aber die Polizisten waren schneller. Der Volvo schlingerte rückwärts vor Tabori her bis zur nächsten Ausweichstelle. Tabori hob dankend die Hand und wollte weiter, aber die Sache war noch nicht vorbei. Die Polizisten stiegen aus und kamen auf ihn zu. Zwei blonde Hünen, ein alter und ein junger, die beide die gleiche auffällige Kerbe am Kinn hatten, vielleicht Vater und Sohn.
    Tabori bremste und streckte fragend den Kopf durchs Seitenfenster.
    »Schöner Tag heute«, begann der Ältere der beiden das Gespräch.
    »Heiß«, präzisierte Tabori. »Fast zu viel.« Er deutete eine Bewegung an, als wollte er sich den Schweiß von der Stirn wischen.
    Der Ältere lachte.
    »Heiß, ja. Da liegt man eigentlich am Strand.«
    Einmal mehr dachte Tabori, dass es durchaus von Vorteil war, in einem Land zu leben, in dem sogar die Streifenpolizisten in der Lage waren, sich problemlos in einer Sprache zu verständigen, die nicht die ihre war. Seine deutschen Kollegen scheiterten meist schon an den einfachsten Sätzen auf Englisch.
    »Ich war auf der Klippe oben und habe eine Weile aufs Meer geguckt«, sagte Tabori jetzt.
    Im Außenspiegel konnte er sehen, wie der jüngere

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