Kein Erbarmen
Verschwörung zur Vorbereitung eines terroristischen Anschlags«, redete er drauflos und bediente sich dabei einer seiner Lieblingsfloskeln, die der Verfassungsschutz gerne zur Rechtfertigung seiner oftmals unverhältnismäßigen Einsätze insbesondere gegen die linke Szene bemühte.
»Bingo«, kam prompt die Antwort, wobei Tabori deutlich hören konnte, wie Ulrike vergnügt kicherte.
»Der vermisste Kollege«, präzisierte er jetzt sein Anliegen. »Damaschke. Die E-Mail ist …« Er gab die Adresse durch.
»Ich habe schon blödere Tarnadressen gehabt«, war Ulrikes knapper Kommentar. »Mohair, sind das diese langhaarigen Schafe?«
»Ziegen, glaube ich.«
»Foto ist schon raus«, sagte Ulrike.
»Grüß Carlos von mir.«
»Iss nicht so viele Pølser. Die Röstzwiebeln kommen nicht gut, wenn du Touristinnen abzuschleppen versuchst.«
Tabori grinste und drückte die rote Taste.
Michael hatte mittlerweile den PC eingeschaltet und rief die eingegangenen Mails auf. Damaschkes Foto war unter dem Betreff »Vive la revolution« angehängt.
Gunnar warf nur einen Blick auf den Bildschirm und nickte.
Tabori hatte es plötzlich eilig wegzukommen. Er versprach, sich am nächsten Tag noch mal blicken zu lassen.
»Dann hören wir ein paar Platten von früher«, sagte Michael. »Und dann erzählst du aber mal ein bisschen mehr, was hier eigentlich los ist!«
»Mach ich.«
»Wenn du dir dann vielleicht auch noch einen Pullover kaufen willst, habe ich bestimmt nichts dagegen!«, rief Michael ihm hinterher.
Gunnar lachte. Tabori hob nur die Hand, ohne sich noch mal umzusehen, und stieg in den Passat.
Die weiße Wolkenwand am Horizont war verschwunden. Der Himmel war wieder von einem endlosen Blau. Und eswar immer noch heiß. Ein Pullover aus Mohairwolle war so ziemlich das Letzte, woran Tabori im Moment dachte.
Als er auf die Landstraße einbog, ahnte er nicht, dass er noch am selben Tag den blauen Nissan Micra und einen Leichnam finden würde.
12
Der blaue Nissan war in der Zufahrt eines Ferienhauses geparkt. Dass er ihn entdeckt hatte, war eher ein Zufallstreffer, Tabori hatte wieder mal die richtige Abzweigung verpasst und war auf einer Nebenstraße gelandet, die nach Hjardestrand jenseits der Grasklippe führte. Er hatte gerade wenden wollen und zwischen den wild wuchernden Heckenrosen eine passende Einfahrt entdeckt, als er plötzlich den funkelnden Lack im Sonnenlicht aufblitzen sah. Er parkte und stieg aus. Er zweifelte nicht einen Moment daran, dass das kleine Auto hier nur abgestellt worden war, um es aus dem Weg zu haben und den Zeitpunkt hinauszuzögern, an dem es jemandem auffallen würde, der womöglich Fragen stellte.
Wie erwartet, war das Ferienhaus nicht mehr vermietet. In einer Klarsichthülle an dem Pfosten mit der Hausnummer war ein vorgedruckter Zettel des örtlichen Tourismusbüros. Das Haus war erst Mitte Oktober wieder für zwei Wochen gebucht, neue Feriengäste waren in der Zwischenzeit nicht mehr zu erwarten, die Sommersaison war vorüber.
Ein neuer Papiersack war sauber gefaltet unter dem Deckel der Abfalltonne festgeklemmt, die Terrassenmöbel standen gestapelt unter dem vorgezogenen Dach und waren mit einem Metallkabel umwickelt und zusätzlich mit einem Fahrradschloss gesichert. Die Besitzer hatten offensichtlich Sorge, dass die Asylanten die billigen Plastikstühle in ihr Lager schleppen könnten, um sie als Zuschauerplätze für irgendwelcheFruchtbarkeitstänze zu missbrauchen. Oder womit auch immer die fremdländischen Menschen nach Meinung der Dänen ihre Sommerabende verbringen mochten.
Tabori drehte eine Runde ums Haus und spähte kurz in jedes Fenster. Nichts erweckte den Anschein, dass in letzter Zeit irgendjemand hier gewesen war. Dann näherte er sich dem Nissan. Er zerrte einen Zipfel seines T-Shirts aus dem Hosenbund und benutzte es, um den Türgriff zu bedienen, ohne seine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Die Tür war nicht abgeschlossen. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Auf dem Beifahrersitz lag eine Straßenkarte von Dänemark, die Karte war so gefaltet, dass sie den Ausschnitt nördlich des Limfjordes zeigte, von der A 11 abzweigend war mit Kugelschreiber der Weg nach Lerup Strand und weiter zum Strandhotel markiert. Auf einem Faltblatt des Tourismusbüros in Fjerritslev, mit einer Aquarellzeichnung der Dünenlandschaft von Lerup auf dem Titel, war das Wort »Skovsbjerg« notiert, die Buchstaben waren auffällig schräg gestellt.
Auf der Rückbank lag eine
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