Kein Erbarmen
Polizist durch das Rückfenster in den Passat zu spähen versuchte.
Der Ältere lehnte sich schweratmend gegen die Tür und verdeckte den Blick in den Spiegel. Tabori wusste nicht, ob es Absicht war. Resigniert stellte er den Motor aus.
»Gut«, nahm sein Gesprächspartner den Faden wieder auf. »Dann möchte ich mal bitte die Papiere sehen.«
»Und warum?«, konnte es Tabori nicht lassen zu fragen. »Ist es verboten, zur Klippe rauszufahren?«
»Verboten, ja. Das ist ein Weg nur für Waldarbeit, ein …«
»Ein Forstweg«, half ihm Tabori, das richtige Wort zu finden. »Gut«, setzte er dann hinzu, »das wusste ich nicht. Aber ich bin auch nicht der Einzige, der hier langgefahren ist. Und es gibt sogar einen Parkplatz da draußen mit einer Picknickstelle. Außerdem habe ich nirgends ein Schild gesehen.«
Der jüngere Polizist kam dazu, die beiden wechselten ein paar Sätze auf Dänisch.
»Es ist kein Schild da«, wendete sich der Ältere wieder an Tabori. »Das hat ein Tourist gestohlen. Die Touristen stehlen viele Schilder hier und hängen sie dann zuhause an ihre Gartentür. Sie stehlen auch Briefkästen und dänische Fahnen von den Ferienhäusern. Sie nehmen alles mit!«
Tabori versuchte die Idiotie ihrer Diskussion mit einem Lachen zu überspielen.
»Okay, das ist ärgerlich, das verstehe ich, aber ich habe nichts gestohlen, also …«
Ich habe nur einen Müllsack mit dem abgetrennten Kopf des Hoteldackels im Kofferraum, dachte er, und ich bin überzeugt, dass hier bei euch genau vor eurer Nase ein Mord passiert ist! Er griff nach seiner Lederjacke, um seinen Ausweisund den Führerschein aus der Innentasche zu ziehen. Sofort waren die beiden Polizisten hellwach, ihre Hände zuckten zu den schwarzen Lederhalftern, in denen ihre Waffen steckten.
»Ganz ruhig«, sagte Tabori. »Ich will Ihnen nur meine Papiere zeigen.«
Er hielt ihnen die Ausweise hin. Er hatte immer noch seinen alten grauen Führerschein, mit dem der jüngere Polizist offensichtlich nichts anfangen konnte.
»Und das?«, fragte sein Kollege im gleichen Augenblick. Er hielt eine zerknickte Visitenkarte hoch, die irgendwann zwischen die Seiten von Taboris Pass gerutscht sein musste. Mit dem Wappen von Niedersachsen in der oberen linken Ecke und darunter in schlichter Schrifttype die Zeilen »Degenhard Tabori. Polizeihauptkommissar. Mordkommission. Polizeidirektion Hannover«. Sowie die entsprechenden Kontaktdaten, Telefon, Fax, E-Mail.
Tabori winkte ab und wollte bereits zu einer Erklärung ansetzen, dass die Angaben nicht mehr gültig waren, dass er kein Polizist mehr war, sondern tatsächlich nur Ferien in Dänemark machte, aber dann konnte er sich gerade noch rechtzeitig bremsen und dachte: Lassen wir es doch dabei, ich bin gespannt, was sie damit jetzt anfangen …
Sie blickten von der Karte zu ihm und wieder zurück. Dann verglichen sie seinen Namen mit dem Eintrag in seinem Pass. Schließlich sagte der Ältere: »Ein bisschen zu viel deutsche Polizei hier in letzter Zeit.«
»Was?«, fragte Tabori irritiert. Seine Gedanken überschlugen sich. Wussten sie etwas von der Anwärterin? Oder von Damaschke? Hatten sie mit den beiden zu tun gehabt?
Zum ersten Mal wendete sich jetzt auch der jüngere Beamtean Tabori. »Haben Sie ein Problem mit unseren Verkehrsregeln? Oder meinen Sie, weil Sie bei der Polizei sind, dürfen Sie alles? Sie fahren im Wald spazieren, wo es verboten ist, und Ihr Kollege fährt auf der Landstraße wie ein Rennfahrer, was auch verboten ist, und beide sind Sie bei der deutschen Polizei! Das ist nicht gut.«
»Welcher Kollege?« Tabori bemühte sich, seine Frage möglichst harmlos klingen zu lassen, als hätte er keine Ahnung und wäre auch nicht wirklich interessiert.
»Wir haben ihn auf der A 11 gestoppt«, übernahm jetzt wieder der Ältere. »In Halvrimmen, wo die Geschwindigkeit vierzig Kilometer ist. Aber er war mit über hundert unterwegs. Wenn er nicht bei der deutschen Polizei gewesen wäre, hätten wir sein Auto genommen und ihn mit einem Falck-Laster zurückgeschickt. Das geht in Dänemark, da kannst du nicht Herr Schumacher sein.«
»Sein Auto?«
Das Bild, das Tabori eben noch vor Augen gehabt hatte, war so klar gewesen, dass er jetzt nach Luft schnappte: Damaschke, wie er durch irgendeine Ortschaft raste. Aber eben mit dem Motorrad und nicht …
13
»Natürlich, was denken Sie? Schumacher fährt Auto, oder?« Der Polizist tippte sich an die Stirn. »Er spinnte. Mit hundert durch Halvrimmen!
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