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Kein Fall für Mr. Holmes

Kein Fall für Mr. Holmes

Titel: Kein Fall für Mr. Holmes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney Hosier
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aus, bis sich – wie sie später beschrieb – ein Gefühl der Taubheit, angefangen bei den Füßen, über ihren ganzen Körper ausbreitete. Sie erfuhr nun, wie es ist, wenn man durch geschlossene Augenlider schaut: Das Zimmer wurde von blassen, aber goldenen Strahlen erleuchtet. Während das Licht langsam verschwand, wurde Violet Warner mit einem Gefühl zurückgelassen, als wohne sie in zwei Körpern: einem physischen und einem fluidalen.
    Zu diesem Zeitpunkt löste sich ihr geistiges Selbst so mühelos aus den Zwängen seiner irdischen Hülle, wie man sich von einem Stuhl erheben würde. Mit einem letzten verabschiedenden Blick auf ihr physisches Selbst, das friedvoll auf dem Bett ruhte, schwebte das erdentrückte Selbst durch den Raum und in den Flur hinaus.
    Das Schlafzimmer der St. Clairs lag nur wenige Schritte von ihrem eigenen entfernt, und sie glitt geräuschlos wie mit Eulenschwingen zu der Tür hinüber, zögerte einen Augenblick, bevor sie sich zwang, durch sie hindurch zu huschen, als hätte diese solide Eichentür nie existiert.
    Nachdem sie hineingelangt war, seufzte Violet erleichtert auf, als sie sah, daß die Bewohner des Zimmers noch nicht zu Bett gegangen waren.
    »Oh, ich hoffe wirklich, Sie verzeihen mir, daß ich hier einfach so bei Ihnen hereintanze«, sagte sie, da sie sich genötigt sah, eine Entschuldigung für das auszusprechen, was sie für ein ungehöriges astrales Eindringen ihrerseits hielt. »Und obwohl ich weiß, daß Sie mich nicht sehen oder hören können«, fuhr sie fort, »fühl’ ich mich, nachdem ich das gesagt habe, schon viel besser.«
    Die Herrin von Haddley war mit einem lavendelfarbenen Spitzennachthemd bekleidet und saß mit dem Rücken zu ihrem Gatten vor ihrer Frisierkommode. Ihr Haar war aus den hochgekämmten Zwängen des Tages befreit und hing nun in reichhaltiger Fülle über ihre Schultern. Während sie in den Spiegel starrte, kämmte sie es unablässig mit entschiedenen und präzisen Bürstenstrichen.
    Der Baronet saß ohne Jackett und Krawatte mit ausgestreckten Beinen nachlässig auf einem Stuhl, während er mit einer andauernden Bewegung der Hand den restlichen Inhalt seines Whiskyglases kreisen ließ. In Abständen warf er seiner Frau mißbilligende Blicke zu.
    »Margaret!« rief er schließlich. »Wie lange noch gedenkst du, so auf dein Haar einzudreschen?«
    »Bis ich fertig bin!« fuhr sie ihn an. »Siebenundneunzig, achtundneunzig, neunundneunzig, einhundert.«
    Die Bürste wurde auf die furnierte Holzoberfläche niedergeknallt, als sich Lady Margaret nach links neigte, damit das reflektierte Bild ihres Mannes im Spiegel für sie sichtbar wurde. »Wenn du deinen persönlichen Gewohnheiten ebensoviel Aufmerksamkeit schenktest, Charles, würde dir das auch nicht schaden«, fuhr sie ihn an, während sich dünne, gepflegte Hände daran machten, sowohl Kinn als auch Dekollete zu massieren.
    »Ja, ja, zum Glück, meine Liebe«, erwiderte ihr Gatte, während er sein Glas hinstellte und seine ausgestreckten Beine einzog, »verpflichtet mich die Position des Vorsitzenden eines Finanzinstituts mit Büros im halben Britischen Empire nicht dazu, den Großteil der Nacht mit Vorbereitungen für das Schlafengehen zu verbringen.«
    »Das hält dich ganz schön auf Trab, nicht wahr? Du verbringst mehr Zeit in London als hier auf Haddley!«
    »Kann ich ihm nicht übelnehmen«, sagte Vi, an keine bestimmte Person gerichtet.
    »Stimmt nicht, mein Liebling. Erst vergangene Woche kam ich früher aus London zurück als geplant.«
    »Ja! In dem Glauben, ich sei nicht hier!«
    »Aber du warst hier, nicht wahr?« Er beugte sich nach vorn, zog sich beide Schuhe aus und stieß sie beiseite. »Mit irgendeiner Geschichte«, fuhr er fort, als er sich erneut zurücklehnte, »über einen Streit mit deiner Mutter, woraufhin du etwas verstimmt abgefahren bist, wenn ich mich recht entsinne.«
    Sie drehte sich erregt wieder der Frisierkommode zu, holte ein silbernes Etui aus der untersten Schublade hervor, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie an.
    Das war zuviel für Vi. »Himmel, was ist das denn? Eine Dame, die raucht? Nun hab’ ich ja wohl alles gesehen, wirklich!«
    »Es ist wahr, Charles«, antwortete sie, während ein Ring von Rauch in die Luft stieg. »Mutter und ich sind nie gut miteinander ausgekommen, obwohl ich es weiß Gott versuche.«
    Jegliche bittere Antwort, die meine alte Freundin hätte geben können, wurde von der Herrin des Anwesens unterbrochen, die plötzlich

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