Kein Fall für Mr. Holmes
folgenden Tag einen Besuch abzustatten gedachte und alles in meiner Macht Stehende tun würde, um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Und nun, da die Wahrheit über ihre und Wills Liaison bewiesen werden konnte, versicherte ich ihr, daß die Polizei keine Alternative mehr hätte, als ihn freizulassen.
Daraufhin mußten Vi und ich einen Ausbruch der Dankbarkeit von einem glücklichen jungen Mädchen über uns ergehen lassen, das – bevor es ging – sich uns noch einmal hoffnungsvoll, wenn auch zögernd zuwandte.
»Lady Margaret«, stammelte sie, »sie wird nicht… ich mein’… sie muß doch nichts…«
»Ach, mach dir um sie keine Sorgen«, versicherte Violet. »Von uns erfährt die nichts.«
Bevor sie die Tür hinter sich schloß, wurden zwei ältere Damen mit einem Lächeln, so riesig wie das Irische Meer, belohnt.
11. Mrs. Warner macht Besuche
Meine Kameradin schlüpfte in ihr Nachthemd, wobei sie gedankenverloren eine fröhliche kleine Melodie vor sich her summte, und schien bester Stimmung zu sein, während sie sich für das Bett zurechtmachte.
»Ich kann dir gar nicht sagen, Em, wie froh ich bin«, sagte sie und schüttelte die Kissen mit wenigen gut plazierten Schlägen auf.
»Froh?«
»Ja. Daß wir den Mord aufgeklärt haben, zum Beispiel.«
Ich habe schon immer versucht, das Unerwartete von meiner alten Freundin zu erwarten, aber dieses Mal überrumpelte sie mich völlig. »Aufgeklärt? Meine liebe Mrs. Warner, wir haben überhaupt keinen Mord aufgeklärt.«
»Wir wissen doch nun, daß Will Tadlock es nicht war, richtig?«
»Violet, Violet, Violet«, stöhnte ich verzweifelt. »Ich denke, das Ziel der Ermittlungen ist es herauszufinden, wer es war – und nicht, wer es nicht war.«
»Ah ja, das sieht dir mal wieder ähnlich. Für dich ist die Flasche immer halbleer.«
Ich lächelte. Sie hatte natürlich recht. Zumindest hatten wir in gewisser Hinsicht einen Fortschritt gemacht. Ich setzte mich auf die Bettkante und beobachtete schweigend, wie sie an ihrer Frisierkommode herumwerkelte und zufrieden vor sich hin summte.
»Was ist das?«
»Was ist was?«
»Das Lied, das du gerade summst. Hört sich bekannt an.«
»Wüßte nicht, wie das sein könnte«, antwortete sie. »Ich hab’ es nur ein- oder zweimal gehört, als Sir Charles es am Klavier vor sich hin klimperte. Und du kennst mich ja, Em, hatte schon immer ein Ohr für Musik.«
»Trotzdem, ich kenne die Melodie«, sagte ich und ärgerte mich über diesen Gedächtnisverlust meinerseits. »Könnte es etwas von Gilbert und Sullivan sein?«
»Gilbert und Sullivan? Nicht sehr wahrscheinlich. Das wüßte ich, bei meinen musikalischen Kenntnissen. Hab’ als Kind Klavierunterricht gehabt. Hab’ ich dir das eigentlich je erzählt? Ja, hätte wohl ‘n Beruf draus machen können, da bin ich sicher, wenn ich dabeigeblieben wäre.«
»Aber diese Melodie«, beharrte ich, »es ist merkwürdig, daß sie mir so bekannt vorkommt. Ach, na ja«, ich seufzte, »ich nehme an, bei jedem setzt sich mal eine Melodie im Hirn fest, auf deren Titel man nicht kommt. Ist trotzdem merkwürdig…«
»Ich sag’ es dir, Em!« erwiderte sie und warf die Arme frustriert in die Luft. »Es ist schon ein verflixtes Wunder, daß du nicht auch noch das Verschwinden der Sonne an jedem Abend untersuchst. Du siehst in allem ein dunkles Geheimnis!«
»Vielleicht hast du recht.« Ich kicherte. »Trotzdem, es wird mich so lange ärgern, bis ich mich erinnere, wo ich es gehört habe.«
»Mhm, nun ja, wie auch immer, du hast morgen genug Zeit, um dir über alles Klarheit zu verschaffen. In der Zwischenzeit«, fügte sie hinzu und verpaßte dem Kissen einen letzten Knuff, »machst du dich am besten auch zum Schlafen fertig.«
Ich wartete, bis sie unter die Bettdecke gekrochen war, bevor ich verkündete: »Ich fürchte, ich kann nicht ins Bett kommen, zumindest noch nicht.«
»Ach, komm schon, was redest du da?«
»Da ich heute nachmittag nicht die Zeit hatte, das Schlafzimmer von Lady St. Clair zu untersuchen«, erwiderte ich und wedelte mit dem Schlüsselring von Hogarth vor ihrer Nase, »dachte ich mir, ich ergreife die Gelegenheit heute nacht.«
»Das Zimmer Ihrer Ladyschaft durchsuchen – wozu, zum Teufel?« fragte sie, während sie sich aufrichtete.
»Ich hätte gedacht, das wäre offensichtlich. Um Antworten zu finden.«
Sie unterdrückte ein Gähnen. »Antworten worauf?«
»Zum einen«, antwortete ich, während ich ihre Schläfrigkeit etwas
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