Kein Fall für Mr. Holmes
fortfahren?«
»Bitte, nicht so schnell, mein Lieber«, rief Vi. »Ich muß mir das doch alles für Em merken.«
Von dem Squire, der schweigend grübelte, kam keine unmittelbare Antwort.
»Ich sage Ihnen, alter Junge«, hielt ihm der Colonel spaßhaft vor, »wenn Sie schon herumschleichen und das Haus stückchenweise verkaufen mußten, dann hätten Sie das nicht so offensichtlich machen dürfen. Soweit ich weiß, befindet sich in dem oberen Geschoß dieses erhabenen Hauses ein wahrer Schatz von Kunstgegenständen.«
Henry St. Clair erhob sich langsam und begann, stillschweigend auf und ab zu gehen, bis er seine Antwort herausspuckte. »Die Hälfte von dem, was hier ist, wird sowieso eines Tages mir gehören – also, selbst wenn es wahr ist, was Sie da erzählen, was ist dabei?«
»Ah«, erwiderte er mit einem erhobenen pummeligen Finger, »aber ›eines Tages‹ ist schon gekommen, nicht wahr? Genau das meine ich, alter Junge. Jetzt, wo Ihre Ladyschaft ihre verdiente ewige Ruhe gefunden hat, nehme ich an, daß sich Ihr Kreditrahmen bis ins Unendliche ausdehnen läßt.«
Der Squire kehrte zu seinem Sessel zurück, drehte ihn um und setzte sich seitwärts zum Tisch, wobei er die Beine auf einem kleinen ledernen Polsterhocker ausstreckte. »Sie behaupten also, daß ich meine Mutter wegen des Erbes ermordet habe, um meine Spielschulden abzubezahlen und meinen bösen, bösen Gewohnheiten weiterhin nachzugehen, ist es das? Dann erzählen Sie mir doch, Colonel, warum haben Sie dies nicht gegenüber der Polizei erwähnt? Oder die Tatsache, daß Sie Chloroform gerochen haben? Sie hatten heute morgen ausreichend Gelegenheit dazu.«
Die Fragen riefen ein großes Schnaufen auf der anderen Seite des Tisches hervor.
»Ich werde es Ihnen erzählen!« Der Squire wirbelte herum, um dem alten Soldaten direkt ins Gesicht zu blicken. »Zum einen, weil Sie wissen, daß die Anschuldigung vollkommen falsch ist. Zum anderen ist zumindest von Ihrem Standpunkt aus noch bedeutender, daß Ihnen bewußt wurde, wenn Sie mich beschuldigten, würde das dazu führen, daß Bruder Charles Ihre Stellung als ständiger Gast auf Haddley beendet. Blut ist ja bekannterweise dicker als Wasser. Und, was halten Sie davon?« fügte er spöttisch hinzu.
»Sie hatten ebenso Gelegenheit wie ich, Ihre Ansichten der Polizei mitzuteilen«, verkündete der ältere Mann. »Dennoch schwiegen auch Sie. Warum?«
»Um die Wahrheit zu sagen, alter Junge«, meinte der Schuldner lässig, »Haddley kann keinen Skandal gebrauchen. Was immer wir noch an Ansehen im Dorf genießen, wäre vollkommen zerstört – ganz davon zu schweigen, was geschehen würde, wenn die Londoner Zeitungen Wind bekämen. Ich hielt es einfach für das beste, am Status quo festzuhalten.«
»Was immer auch Ihre Gründe sein mögen, Squire, Sie schätzen meine Rolle in all dem gänzlich falsch ein. Wie vielleicht ich«, ergänzte er nachdenklich, »auch die Ihre.«
»Jedenfalls«, erwiderte der jüngere Mann, »was geschehen ist, ist geschehen.«
»Aber, St. Clair, dieses junge Ding, das sie da heute morgen gefunden haben… der Fall könnte ein wenig unangenehm für die Familie werden, oder?«
»Das denke ich nicht«, antwortete der Squire, der sich aus dem Sessel erhob und sich dabei auf den Mund klopfte, um ein Gähnen zu unterdrücken. »Soweit ich das Ganze überblicke, war es ein Mädchen aus dem Ort, das von einem der Stalljungen umgebracht wurde. Das habe ich auch dem Inspektor erzählt. Ich bezweifle, daß Twillings die Familie für irgendeine schmutzige Affäre verantwortlich macht, in die Angestellte verwickelt sind.«
Zu diesem Zeitpunkt merkte meine Freundin, daß sie ihren astralen Besuch nicht weiter in die Länge ziehen konnte, denn sie fühlte nun innerhalb ihrer ätherischen Gestalt ein Zerren unsichtbarer Seile, die sie zurückzogen – während sie gleichzeitig winzige schmerzende Stiche auf der Stirn ihres physischen Körpers wahrnahm. Da dies das erste Mal war, daß Violet über einen so langen Zeitraum hinweg durch die Gegend geschwebt war, bekam sie ziemliche Angst. Sie berichtete, daß sie einen starken Windhauch gespürt hatte, der sie durch einen schwarzen und endlosen Tunnel fegte, bevor sie wieder gesund und munter in ihr bequemes Bett gelangt war.
12. Ein Rätsel ist gelöst
Während Vi eifrig mit ihrer ätherischen Lauschaktion beschäftigt war, hatte ich die Gelegenheit ergriffen und das Schlafzimmer der verstorbenen Lady St. Clair untersucht.
Von
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