Kein Fall für Mr. Holmes
meine Luftröhre ausgeübt wurde.
Tu was, Emma! schrie ich innerlich.
Wenn ich schon sterben sollte, dann nicht ohne gekämpft zu haben. Ich hob meinen Fuß so hoch wie möglich und trat mit all der Kraft, die ich aufbringen konnte, auf seine Schuhspitze. Ein Stöhnen ertönte, während seine Finger den Griff lockerten, wenn auch nur für eine Sekunde. Ich nutzte die Sekunde, um hastig nach Luft zu schnappen. Weil ich nicht die Kraft hatte, seine Hände von meiner Kehle zu zerren, machte ich einen letzten verzweifelten Versuch, das Gesicht meines Angreifers zu zerkratzen. Aber da er mich auf Armeslänge hielt, wirbelten meine Hände lediglich in der Dunkelheit herum, und die Nägel häuteten nichts als Luft. Fast ohnmächtig sackte ich dann zu Boden.
Daraufhin geschah etwas überaus Merkwürdiges.
Während ich dort lag, sah ich mich selbst als kleines Mädchen hinter dem Hause meiner Eltern im Garten unter dem Apfelbaum sitzen. Ich schaute auf und beobachtete, wie meine Mutter auf die hintere Veranda herauskam. Sie stand da, trocknete sich die Hände an ihrer Schürze ab und rief fragend zu mir herüber, ob ich von den Äpfeln gegessen hatte.
»Nein, Mama«, log ich. »Warum?«
Ihre Antwort lautete, daß sie viel zu grün seien, und in übertriebener Betonung ihrer Sorge fügte sie hinzu, daß ich sehr krank werden und sterben würde, wenn ich davon äße. Mit dem zufriedenen Gefühl, daß sie mir die größtmögliche Angst vor einem übermäßigen Genuß von Äpfeln eingeimpft hatte, drehte sie sich um und ging wieder ins Haus. Als die Gittertür zuknallte, stöhnte ich auf.
»Oh«, wehklagte ich, »ich werde sterben! Ich werde sterben!«
Dies war ein Satz, den ich nun immer wieder wiederholte, während ich ausgestreckt auf dem Boden lag, das Bewußtsein abwechselnd verlor und wiedergewann und kaum den leichten Druck von einem Zeigefinger und Daumen auf meinem Handgelenk spürte. Mein Angreifer, dessen schwerem Atem ich mit einem merkwürdigen Gefühl des Losgelöstseins lauschte, beugte sich über mich und versuchte, so erschien es mir zu dem Zeitpunkt, meinen Puls zu fühlen. Wohl um zu sehen, ob ich endlich ins Jenseits gesegelt sei.
Tatsächlich dachte ich, es wäre so.
Durch zuckende Augenlider sah ich nun ein blaues phosphoriges Licht in der Form einer menschlichen Gestalt, die keinen halben Meter von mir entfernt stand! Ich starrte sie weiterhin an, eher fasziniert als ängstlich, während ihr überirdischer Schein weiterhin alle paar Sekunden mit unterschiedlichem Intensitätsgrad pulsierend aufleuchtete. Mein erster Eindruck war, daß dieses Licht der Geist meiner Mutter war, die gekommen war, um mich auf jene andere Seite zu bringen – ein Gedanke, den ich rasch verwarf, als mein Angreifer plötzlich einen Laut des Erschreckens ausstieß.
Er hatte es auch gesehen!
Das letzte, an das ich mich erinnere, war, daß sich mein Möchtegernmörder schnell davonmachte. Danach nur noch vollkommene Leere.
Wer oder was auch immer es war, die Erscheinung hatte mein Leben gerettet.
»Du fühlst dich also jetzt besser, Liebes?«
Ich schüttelte den Kopf und versuchte mit verschwommenem Blick und geringem Erfolg, die über mir stehende Gestalt scharf zu erkennen.
Erst als ich einen halbherzigen Versuch unternahm, mich aufzurichten, merkte ich, daß ich mich in einem Bett befand.
Violets Bett. In ihrem Schlafzimmer. Aber wie?
Wirre Bilder rasten in meinem Hirn umher. Ein Hirn, das verzweifelt versuchte, die fehlenden Zeitabschnitte in chronologischer Reihenfolge in Erinnerung zu rufen.
»Nun da du dich wieder im Land der Lebenden befindest, habe ich eine schöne heiße Tasse Tee für dich, falls dir danach ist.«
Danach war mir wirklich.
Ich bin der festen Überzeugung, daß Tee, unabhängig von seinem Geschmack, gewisse medizinische Eigenschaften hat, die den Kopf klar machen, Erkältungen heilen und generell als Allheilmittel bei allen kleineren Beschwerden dienen. Ich behaupte ebenfalls, daß wir Briten aufgrund des Tees zu dem geworden sind, was wir heute sind, und ich hege keinen Zweifel daran, daß das Empire, sollte diese königliche Insel ihres Nationalgetränks beraubt werden, innerhalb von zwei Wochen ins Chaos verfallen würde.
Ich trank den Tee und war schon bei der zweiten Tasse angelangt, als die Fragen schließlich aus mir herausströmten. »Wie komme ich hierher? Wer hat mich gefunden? Wie spät ist es?«
»Nun, es ist Viertel nach zehn«, antwortete sie mit einem
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