Kein Fall für Mr. Holmes
Lächeln.
»Zehn? Es muß doch schon später sein! Es war weit nach neun Uhr, als ich den Flur entlang zum Schlafzimmer Ihrer Ladyschaft gegangen bin.«
»Em!« rief sie. »Das war vergangene Nacht. Es ist zehn, zehn Uhr morgens.«
»Du meinst, ich habe geschlafen…?«
»Mhm. Und nach dem, was du durchgemacht hast, hast du wohl auch jede Minute davon verdient.«
Was ich durchgemacht habe? Erst da erinnerte ich mich an die Finger, die sich um meinen Hals klammerten, und an das Gespenst, das mich gerettet hatte.
»Vi«, sagte ich sehr ernsthaft, als ich ihr meine mittlerweile leere Tasse reichte, »ich habe jeden Grund zu der Annahme, daß es auf Haddley spukt.«
»Spukt?« Ihre zitternde Hand versuchte ohne Erfolg, die Tasse zum Verstummen zu bringen, die gefährlich auf der Untertasse klapperte. »Aber was bringt dich dazu, so etwas zu behaupten?« fragte sie und stellte die Tasse auf den Tisch.
Ich erzählte von meinem nahen Tod und von dem Geist, dessen Erscheinen am Handlungsort der Grund dafür gewesen war, daß ich noch lebte und alles erzählen konnte. Als ich zum Ende kam, erwartete ich, daß ihre Reaktion entweder von Schrecken oder Erstaunen gezeichnet war, niemals aber von Unglaube! Ich hatte ihre astralen Fähigkeiten gutgläubig akzeptiert, aber als ich ihr von meiner Begegnung mit dem Übernatürlichen erzählte, bestand ihre Reaktion lediglich aus einem kindischen Gekicher.
»Wirklich, Violet!« brauste ich auf. »Wenn ich hier nicht ernst genommen werde, ist es vielleicht das beste, ich kehre nach London zurück!«
»Ernst, sagt sie! Aber natürlich nehme ich dich ernst. Warum sollte ich auch nicht?«
»Ich verstehe nicht, zuerst machst du…«
»Blau war es, sagtest du?«
Ich bekam langsam Kopfschmerzen.
»Ich glaube«, antwortete ich und rieb mir sanft die Stirn, »irgendwie ist es uns gelungen, genau aneinander vorbei zu reden.«
»Also, ich kann dir alles erklären, wirklich«, versicherte sie mir und zog sich einen Stuhl ans Bett. »Nachdem ich vom Spielzimmer hierher zurückgehuscht bin, sehe ich als erstes, daß mein Körper seelenruhig im Bett liegt, aber keine Emma. Nun, sage ich mir, das ist doch merkwürdig. Ich dachte, du wärst schon lange wieder zurück. Dann habe ich dieses komische Gefühl, daß irgendwas nicht stimmt. Also, obwohl ich mich noch immer etwas benebelt fühle, zwinge ich mich, noch lange genug außerkörperlich zu bleiben, um bis zum Schlafzimmer Ihrer Ladyschaft zu gelangen. Und es war, als würde ich eine Wiederholung von dem sehen, was ich das letzte Mal dort sah! Außer, daß du es jetzt warst, die um ihr Leben rang! Ich dachte schnell nach und überlegte mir, wenn ich mich nur irgendwie sichtbar machen könnte, würde er denken, er müsse mit noch einem Körper fertig werden, sozusagen. Ich hab’ so was vorher noch nie gemacht, wollte ich eigentlich auch nie, aber es war einen Versuch wert. ›Willenskraft‹, wie die alte Bessie sagen würde. ›Willenskraft, das ist jetzt genau das richtige!‹ Also hielt ich den Atem an und konzentrierte mich, solange ich konnte.«
»Du hast da gestanden und den Atem angehalten?« fragte ich ungläubig.
»Mhm. Das hilft mir, mich zu konzentrieren. Aber es funktionierte nicht, ich schaffte es nicht, Gestalt anzunehmen, jedenfalls nicht so, wie ich hoffte.«
»Also war mein geheimnisvoller blauer Geist aus dem großen Jenseits niemand anderes als Violet Warner!« gluckste ich. Es war das erste Mal seit Tagen, daß ich so richtig lachen konnte. »Mach dir nichts draus, du hast das schon ganz gut gemacht, altes Mädchen!« rief ich freudig aus. »Ganz gut, wirklich! Indem du erschienen bist, wenn auch nur in Umrissen, umgeben von deiner Lichtaura, hast du mir das Leben gerettet! Meine liebe, wunderbare Mrs. Warner«, gab ich unter Tränen der Dankbarkeit lächelnd von mir, »du bist ein Schatz, wirklich!«
»Nun«, antwortete sie mit einem gutgelaunten, wenn auch etwas verlegenen Lachen, »wurde auch Zeit, daß das mal jemand merkt.«
»Aber konntest du irgendwie erkennen«, fragte ich, »wer mich eigentlich angegriffen hat?«
»Nein.« Sie seufzte. »Ich hab’ mir viel zu viele Sorgen um dich gemacht. Ich meine, du lagst da auf dem Boden, und überhaupt.«
»Ich wünschte nur, ich hätte ihn erkannt. Aber wie du schon sagst, bei der Dunkelheit und in dem Gemütszustand, in dem wir beide uns befanden, da ist das verständlich. Aber wie bin ich hierher zurückgelangt?«
»Das war genauso wie zuvor. Ich huschte
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