Kein Fall fuer Wilsberg
schon am Tor.
Der Polizist guckte mich unschlüssig an.
»Ich gehöre zur Geschäftsleitung«, erklärte ich, und bevor er sich eine Antwort überlegen konnte, war ich an ihm vorbei.
Die Arbeiter standen in kleinen Gruppen herum und redeten in gedämpftem Ton. Ich fragte einen nach dem Weg und folgte seinem Zeigefinger.
Der Arzt hatte sich ein paar Schritte entfernt und rauchte. Die beiden Polizisten kontrollierten ihre Funkgeräte. Alle drei drehten der Metallpresse den Rücken zu. Sie hatten genug gesehen.
Es gab kein Blut, abgesehen von einigen Tropfen, die aus seinem Mund geflossen waren. Offensichtlich war er an inneren Verletzungen gestorben. Die schwere Platte drückte auf den Brustkorb und den Bauch, knapp unterhalb des Herzens. Der Kopf baumelte herunter, mit weit aufgerissenem Mund. Die Schmerzen mußten wahnsinnig gewesen sein.
Doch seine Mörder hatten sich nicht damit begnügt, ihn umzubringen. Sie wollte ihn noch über den Tod hinaus lächerlich machen. Die Hose war heruntergezogen und hing wie eine Fahne an den Unterschenkeln, die mitsamt den Füßen über den Sockel der Presse ragten. Und zwischen den nackten weißen Beinen, an dem steifen Glied war ein rosa Schleifchen drapiert.
»Wie lange ist er schon tot?« fragte ich den Arzt.
»Etwa sechs Stunden.«
Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Moment mal! Sind Sie eigentlich von der Kripo?«
»Nein.«
»Dann darf ich Ihnen keine Auskünfte geben.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vergessen Sie’s! Ach, übrigens: Wenn Sie nichts Besonderes zu tun haben, könnten Sie der Frau des Ermordeten helfen. Sie ist draußen auf dem Parkplatz.«
Er trat die Zigarette aus und ging. Ich machte es den anderen nach und drehte der Presse den Rücken zu. Das Aspirin kam hoch, aber ich schluckte es wieder runter. Was hatte Jochen letzte nacht hier gemacht? Und was sollte dieser makabre Scherz mit dem rosa Schleifchen?
Kriminalhauptkommissar Klaus Stürzenbecher, Chef der münsterschen Mordkommission, blieb irritiert stehen, als er mich in der Runde entdeckte.
»Was macht der denn hier?«
Er trug einen schlechtsitzenden Anzug, ein weißes Hemd, das am Kragen schmutzig wurde, und eine viel zu breite Krawatte.
»Ich gehöre zur Familie«, sagte ich.
»Du gehörst zur Familie!«
»Er ist mein Bruder«, sagte Kiki. »Mein Mann ist der…«
Wir saßen im Salon der Große-Hülskampschen Villa, einem Ensemble aus Polstermöbeln, Tischen und Vitrinen, alle mit gedrechselten Beinen und so gediegen, daß sie noch mühelos mehrere Generationen Große-Hülskamps überdauern konnten.
»Kommen Sie zur Sache!« meldete sich Alfons mit seiner barschen Stimme. »Zum Plaudern besteht jetzt wirklich kein Anlaß.«
»Entschuldigen Sie bitte!« Stürzenbecher hatte sich wieder gefangen. »Ich hatte nur befürchtet, daß mir Herr Wilsberg ins Handwerk pfuschen will.«
Ich hatte ihm vor Jahren einen Gefallen getan, als er in einer wirklich üblen Lage war, und seitdem war er mir irgendwie verpflichtet. In einigen Fällen, die ich bearbeitete, hatten wir zusammengearbeitet, in anderen eher gegeneinander. Doch er hatte nie versucht, mich reinzulegen, und das rechnete ich ihm hoch an.
Stürzenbecher fragte nach dem Grund für Jochens nächtlichen Aufenthalt in der Firma, und Kiki erzählte mit belegter Stimme, was sie mir am Morgen berichtet hatte. Anschließend waren Alfons und Ludger an der Reihe. Beide beteuerten, daß sie keine Ahnung hätten, was Jochen dort wollte. Dann rückte Kiki mit der Erpressungsgeschichte heraus, den geheimnisvollen Telefonanrufen und dem anonymen Brief. Und wieder schüttelten alle anderen den Kopf. Nein, mit ihnen habe er nicht darüber geredet.
Natürlich hatte eine so große Firma wie die Grohü einen nächtlichen Wachdienst. Man hatte die zwei Wachmänner gefesselt und geknebelt in ihrer Stube gefunden. Beide konnten sich an nichts anderes erinnern als an ein nach Arznei stinkendes Tuch, das man ihnen auf Augen und Nase gedrückt hatte. Den einen hatte es bei seinem Rundgang erwischt. Den anderen, nachdem es an der Tür geklopft und er seinen Kopf hinausgestreckt hatte.
»Das reicht doch wohl jetzt«, sagte Alfons. »Nehmen Sie Rücksicht auf die Frauen!«
»Tut mir leid«, antwortete Stürzenbecher, ebenfalls mit einer gewissen Schärfe. »Bei Mord spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Je schneller wir an Informationen kommen, desto größer ist die Chance, den oder die Täter zu fassen.«
»Wir haben alles gesagt, was wir wissen«,
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