Kein Fall fuer Wilsberg
erklärte Alfons kategorisch.
Stürzenbecher klappte sein Notizbuch zu. »Gut. Ich komme zurück, sobald ich neue Fragen habe. Halten Sie sich bitte in den nächsten Tagen zur Verfügung!«
»Stehen wir etwa unter Verdacht?« platzte Ludger heraus.
Stürzenbecher guckte ihn nachdenklich an. »Bei Mord stehen alle unter Verdacht, die mit dem Opfer zu tun hatten. Wir sind ja erst am Anfang der Ermittlungen.«
»Das war ein Verrückter«, grollte der Alte. »Wer könnte sonst einen solchen Unfug mit einer Leiche anstellen?«
»Was für ein Unfug?« fragte Ursula schrill.
Ludger sagte: »Man hat Jochen eine rosa…«
Der Alte fuhr dazwischen: »Ludger! Das ist nichts für die Frauen.«
Stürzenbecher stand auf.
Ursula räusperte sich. »Dürfen wir Jochen beerdigen?«
»Das wird noch nicht so schnell möglich sein. Die Leiche wird zunächst in die Gerichtsmedizin gebracht.«
»Gibt es irgendwelche Zweifel über die Todesursache?« knurrte Alfons sarkastisch.
»Das Offensichtliche ist nicht unbedingt die ganze Wahrheit. Ich möchte wissen, was vorher passiert ist. Ob er geschlagen wurde, ob er Alkohol oder Drogen zu sich genommen hat. Das kann man nur durch eine Obduktion feststellen.«
Er nickte den Anwesenden zu und entfernte sich. Ich hatte nichts gesagt. Und auch keiner der anderen hatte die Araber erwähnt.
Ein paar Sekunden lang hörten wir dem Ticken der Standuhr zu. Dann stand ich ebenfalls auf, um der quälenden Stimmung, den bedrückten Verwandten und Warenfeld ganz allgemein zu entfliehen. »Ja, ich fahre dann mal nach Hause.«
»Ich möchte, daß du bleibst«, sagte Kiki.
Alle guckten sie an.
»Ich möchte, daß du den Kommissar bei seiner Arbeit unterstützt.«
»Warum sollte das notwendig sein?« fragte Alfons. »Der Kommissar macht einen fähigen Eindruck. Er hat keine sehr angenehme Art, aber er weiß offensichtlich, was er will.«
»Das reicht mir nicht«, sagte Kiki. »Georg kannte Jochen. Er kann dem Kommissar helfen.«
»Georg ist kein Polizist, er ist ein kleiner Privatdetektiv«, schaltete sich Ludger ein.
»Ludger hat recht«, bestätigte ich. »Ich kann da wenig tun. Und Stürzenbecher ist wirklich ein guter Mann. Ich habe volles Vertrauen zu ihm.«
Ursulas hohe Stimme war deutlich und klar. Zum ersten Mal merkte ich, daß sie sich Autorität verschaffen konnte. »Georg, du enttäuschst mich. Wenn Christiane dich bittet, hier zu bleiben, dann ist es in dieser Situation deine verdammte Pflicht, diesem Wunsch zu entsprechen. Und ihr anderen«, sie guckte Alfons und Ludger an, »habt das gefälligst zu respektieren.«
Alfons brummte, Ludger verdrehte die Augen, und ich hatte eine große Chance verpaßt, diesen unsäglichen Fall loszuwerden und meine verdiente Rückreise in die Karibik anzutreten.
Ich fand Stürzenbecher im Verwaltungsgebäude der Grohü GmbH, in Jochens Büro. Er hatte sich über die Geschäftskorrespondenz hergemacht.
»Wie geht’s deinem Bein?« fragte er unbeteiligt.
»Geht so. In der Karibik habe ich es kaum gespürt. Seitdem ich hier bin, tut’s wieder weh.«
Er blätterte weiter in dem Aktenordner.
»Was machen die Kinder?« fragte ich.
»Sind in einer schwierigen Phase.«
»Alle Eltern, die ich frage, sagen, daß ihre Kinder in einer schwierigen Phase seien.«
»Ich dachte mir, daß du kommst. Dieses bigotte Szenario da oben – ich hatte das Gefühl, alle starren auf meinen billigen Anzug oder riechen meinen Körpergeruch. Ich habe mich noch nie so schmutzig gefühlt. Was hast du nur mit diesen Leuten zu schaffen?«
»Nichts. Hätte Kiki, ich meine Christiane, nicht Jochen Große-Hülskamp geheiratet, würde ich Warenfeld nur vom Autoatlas kennen. Warum hast du gedacht, daß ich vorbeikomme?«
»Die sagen doch nicht alles, was sie wissen. Ich habe zwanzig Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel. Da entwickelt man untrügliche Instinkte.«
»Na ja.«
»Und du warst rein zufällig zu Besuch, als es den Junior erwischte?«
»Nicht ganz zufällig. Es gab diese Telefonanrufe und anonymen Briefe. Kiki hat mich gebeten, mal mit Jochen zu sprechen.«
»Und?«
»Er meinte, daß er in letzter Zeit nervös sei, weil sich die Firma in einer Krise befinde. Und der Brief könnte von einem Arbeiter stammen, der sauer auf ihn sei, weil er auf der Abschußliste stehe.«
»Glaubst du das?«
»Nein. Hast du schon einmal von dual use gehört?«
»Sollte ich?«
»Ich kenne den Begriff auch erst seit zwei Tagen. Er meint die doppelte Verwendungsmöglichkeit
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