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Kein Fall fuer Wilsberg

Kein Fall fuer Wilsberg

Titel: Kein Fall fuer Wilsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kehrer
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Betriebsrat, kein Politiker. Mich interessiert, daß die Maschinen laufen. Wo das Zeug hingeht, das wir produzieren, geht mich nichts an.«
    »Aber Jochen Große-Hülskamp hatte Probleme damit.«
    »Damit wir uns verstehen«, sagte Willi Voß und nahm dabei seinen Zeigefinger zu Hilfe, wie er es wohl auch auf den Betriebsversammlungen tat, »ohne die Exporte wäre die Firma am Ende. Das ist hier jedem klar, vom kleinen Lehrling bis zum Geschäftsführer. Mag sein, daß der Chef von Zweifeln geplagt wurde, wenn er zu Hause mit seiner Frau darüber geredet hat. Aber im Betrieb, wenn es darauf ankam, gab es nie eine Meinungsverschiedenheit. Dazu hätte es der alte Große-Hülskamp auch gar nicht kommen lassen. Der hält immer noch die Mehrheit der Anteile, wenn Sie verstehen, was ich meine. Der Junior war nur angestellter Geschäftsführer.«
    Voß redete sich in Rage. »Im übrigen leben nicht nur die Große-Hülskamps, die Belegschaft und ihre Familien von dieser Art Geschäft, die ganze Stadt profitiert davon. Was wäre Warenfeld ohne die Steuern der Grohü? Fragen Sie doch mal den Gemeindedirektor, der über all diese Dinge Bescheid weiß, wie er das neue Gymnasium bauen will, wenn die Grohü nur noch innerhalb der EG operiert!«
    Ich setzte zu einer Frage an, aber Voß war noch nicht am Ende. »Wir hängen das nicht an die große Glocke. Und wissen Sie auch, warum? Weil wir dann nächste Woche die Friedensbewegung auf dem Hals haben. Dann kommen die Zeitungen und das Fernsehen. Und was ist das Ergebnis von allem? Die Leute stehen ohne Arbeit da. So sieht das aus, Herr Wilsberg.«
    Ich nickte. Hätte ich das Wort Israel erwähnt, wäre mir der inzwischen puterrot angelaufene Voß wahrscheinlich an die Kehle gegangen. »Waren die Araber in letzter Zeit unzufrieden? Wollten sie mehr, als die Grohü liefern konnte?«
    »Ist mir nicht bekannt.« Er regte sich ab. »Die waren immer zufrieden mit dem, was wir geliefert haben. Das Markenzeichen Made in Germany ist da unten gut angesehen.«
    Ich parkte auf einem rotgepflasterten Parkplatz, der so sauber und ordentlich war, daß mein dreckiges Auto irgendwie unanständig wirkte. Auf dem Weg zum Rathaus kam ich an einem Tabakladen vorbei. Natürlich führte er Sir John’s Mini aromatic nicht (vermutlich gab es die aus Pfeifentabak bestehenden und mit einem Sumatra-Deckblatt umhüllten Zigarillos im westlichen Westfalen überhaupt nur in einem Laden, nämlich bei Kluncke & Sohn, direkt neben meinem früheren Büro am Prinzipalmarkt). Ich nahm mir vor, am nächsten Tag einen Abstecher nach Münster zu machen, und griff auf eine blaue Schachtel aus dem Hause Nobel zurück.
    Wieder auf der Straße, mußte ich drei Skins ausweichen, die die volle Breite des Bürgersteigs für sich in Anspruch nahmen und alle, die nicht rechtzeitig flüchteten, mit Spritzern aus ihren Bierdosen bedachten. Es beruhigte mich, daß die Welt auch in Warenfeld nicht ganz in Ordnung war.
    Die Skins zogen mit torkelndem Gang und gegrölter Konversation zum Kirchplatz, und ich hinkte ihnen in einiger Entfernung hinterher. Kirche und Rathaus standen sich gegenüber, Sinnbild der Symbiose von kirchlicher und weltlicher Macht. Das Rathaus war gerade renoviert worden und hätte auch ein Heimatmuseum sein können, zumindest von außen.
    Im Inneren herrschten ein kühles Grau und gepflegte Langeweile vor. Die Übersichttafel im Erdgeschoß wies mir den Weg zum Büro des Gemeindedirektors, wo mich im Vorzimmer eine Sekretärin abfing. In schroffem Tonfall erklärte sie mir, daß der Herr Doktor Kleinmann nicht zu sprechen sei, schon gar nicht für unangemeldete Besucher.
    »Ich komme im Auftrag von Herrn Große-Hülskamp«, sagte ich und zog mein Empfehlungsschreiben aus der Tasche.
    Das wirkte. Sie wurde um drei Grade freundlicher, und nach einem kurzen Telefongespräch fungierte sie als Türöffner.
    Das Büro des Doktor Kleinmann hatte vier Fenster, die einen Panoramablick auf den Kirchplatz samt Kirche erlaubten. Trotz der hellen Nachmittagssonne brannte eine Schreibtischlampe mit grünem Glasschirm.
    Kleinmann entsprach seinem Namen. Er sah aus wie eine Kugel, über die man einen Anzug gezogen hatte. Behende sprang er mir entgegen, um meine Hand ausgiebig zu schütteln.
    »Mein herzliches Beileid«, sagte er, nachdem wir meine verwandtschaftlichen Beziehungen zum Toten geklärt hatten, »der Tod von Jochen Große-Hülskamp ist ein großer Verlust für die Gemeinde.«
    »Gucken Sie mal aus dem Fenster!«

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