Kein Fleisch macht gluecklich
blieb aber erfolglos. So musste ich mich an konservierte Bierwurst aus alten Armeebeständen halten. Auf der Rückreise im Zug schenkten mitreisende Russen Wodka in den dafür üblichen Wassergläsern aus. Dazwischen reichten sie unglaublich fette Wurstscheiben. Ob der Wodka für die Wurst nötig war oder umgekehrt, weiß ich nicht. Danach war ich jedenfalls endgültig Vegetarier.
Die Gewissensfrage
Intuitiv mögen die meisten Menschen die Ansicht vertreten, dass ein Mensch generell mehr wert sei als ein Tier. Doch worin bestehen moralisch bedeutsame Unterschiede, die solch eine Bewertung rechtfertigen? Für mich zeigen sich diese ziemlich offensichtlich in der bewusst wahrgenommenen Lebensqualität und Leidensfähigkeit. Zumindest im Vergleich zu Schwämmen oder Korallen, die wie der Mensch zum Tierreich gehören, aber über keinerlei bzw. kein zentrales Nervensystem verfügen. Aber schon bei den äußerst intelligenten Tintenfischen und erst recht bei Wirbeltieren wird es für mich schwierig, darüber zu urteilen.
Erstaunlicherweise ist es mir in meinen nicht gerade seltenen Gesprächen mit Fleischessern über das Fleischessen kaum gelungen, herauszufinden, nach welchen Kriterien sie die Interessen von Lebewesen berücksichtigen. Häufig tauchten Aussagen auf wie, dass man doch lieber einen Menschen aus einem brennenden Haus retten solle als ein Schwein. Bei Hunden waren die Prioritäten schon weniger eindeutig. Doch derlei Überlegungen erinnern mich an die konstruierten Szenarien der – mir glücklicherweise erspart gebliebenen – mündlichen Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer im Kreiswehrersatzamt, in der es zum Beispiel darum ging, dass einzig der Einsatz einer zufällig mitgeführten Maschinenpistole die eigene Freundin vor einer Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten bewahren sollte.
Die Tötungsfrage
Im Alltag muss ich mich glücklicherweise nie zwischen Leben und Tod von Tier oder Mensch entscheiden, sondern nur zwischen dem Leben des Tiers und dem Genuss von Fleischmahlzeiten. Ich muss mich also noch nicht einmal fragen, ob ich Mensch und Tier gleichermaßen moralisch berücksichtigen will, sondern lediglich, in welchem Maße ich Leben oder Wohlbefinden von Tieren überhaupt berücksichtige. Will ich mir das Recht herausnehmen, das Leben eines Tieres für meinen Appetit zu beenden? Als Neuvegetarier war für mich das Leiden der Tiere während der Haltung und Schlachtung zwar ebenfalls von Bedeutung, aber nachgeordnet. Entscheidend fand ich die Tötungsfrage. Entsprechend war das Für-mein-Essen-keine-Tiere-töten-Wollen meine übliche Antwort auf die Frage nach dem Grund meines Fleischverzichts. Damit umzugehen war für Fleischesser vermutlich einfacher, denn hierzu hatten sie einfach eine andere Meinung, die zudem von der Mehrheit der Gesellschaft geteilt wird. Das Quälen von Tieren hingegen lehnen die meisten Menschen ab. Hätte ich gesagt, dass die Haltungs- und Schlachtbedingungen für mich nicht zu rechtfertigen seien, wäre es für die Fragesteller vermutlich unbequemer gewesen, sich zu positionieren. Über die tatsächlichen Bedingungen von Haltung und Schlachtung wusste ich damals jedoch nicht wirklich viel. So kam es nur selten zu einer Diskussion über das »Wie« der Nutztierhaltung, weil wir lieber darüber gezankt haben, ob Tiere überhaupt zum Essen getötet werden dürfen.
Die Leidfrage
Nach wie vor ist sich weder die Moral- noch die Rechtsphilosophie darüber einig, ob das Töten von Tieren überhaupt unmoralisch oder unrechtmäßig ist. Das EU-Tierschutzrecht hält – man höre und staune – Tiere als empfindungsfähige Lebewesen um ihrer selbst willen für schützenswert. Im ersten Paragrafen des deutschen Tierschutzgesetzes in der überarbeiteten Fassung von 1986 heißt es: »Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.« Es mag verwundern (oder nicht), dass es keine Definition dafür gibt, was denn als »vernünftiger Grund« gilt. Im Unterschied zu einer auf den Menschen bezogenen (anthropozentrischen) Ethik wird diese im Tierschutzgesetz vertretene Sicht als pathozentrisch (vom griechischen pathos : Leid, Schmerz) bezeichnet. Dabei messen jedoch Gesetz und Gesellschaft eindeutig mit zweierlei Maß, was sich nur speziesistisch begründen lässt. Die Interessen bewusst
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