Kein Fleisch macht gluecklich
Antispeziesist
Noch zu meinen Wiener Zeiten war – trotz all meiner Fleischlust wie zum Beispiel auf »Blunzngröstel« aus Blutwurst vom Naschmarkt – in mir die Idee gereift, dass Fleisch aus artgemäßer Haltung die bessere Wahl sei. Mir genügte damals die Beteuerung meines Metzgers, dass der Schinken aus einer ebensolchen stamme. Natürlich aß ich überall sonst weiterhin alles Fleischliche, ohne mich über dessen Herstellung zu informieren. Auf der oben erwähnten nächtlichen Lkw-Fahrt jedoch gelangten mit dem Seminarbericht meiner Freundin neue Gedanken zu diesem Thema in mein Hirn und setzten sich dort fest. Das zentrale Argument des Moralphilosophen Peter Singer lautet wie folgt: Die Zugehörigkeit zu einer Spezies (Art) sei kein entscheidendes Kriterium dafür, ob ein Wesen moralisch berücksichtigt werden sollte oder nicht. »Wenn ein Wesen leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung dafür geben, sich zu weigern, dieses Leiden zu berücksichtigen«, schreibt er in seiner viel diskutierten Praktischen Ethik . Für Singer sind die Empfindungsfähigkeit und dadurch bedingte Interessen entscheidend. Damit spricht er vielen Tieren den gleichen Grad an moralischer Berücksichtigung zu wie Menschen. Ihm geht es dabei nicht – ein häufiges Missverständnis – darum, Menschen schlechter zu behandeln, sondern Tiere besser. Und das schlicht und ergreifend deshalb, weil er keine schlüssige moralische Rechtfertigung dafür sieht, gleichermaßen empfindungsfähige Lebewesen mit eigenen Interessen nicht in derselben Weise zu berücksichtigen wie Menschen. Er kritisiert daher einen (in Anlehnung an Rassismus, Sexismus und Ähnliches sogenannten) Speziesismus, denn dieser knüpfe die moralische Berücksichtigung an die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch und nicht an tatsächlich moralisch relevante Eigenschaften. Für Singer ist es unerheblich, ob sich Arten in anderen Belangen erheblich unterscheiden. Solange ihre Empfindungsfähigkeit ähnlich sei, müssten ihre Interessen ähnlich berücksichtigt werden.
Mit dieser Neuformulierung eines alten philosophischen Problems hat Singer enormen Einfluss auf die Tierschutzethik der vergangenen Jahrzehnte ausgeübt und den Tierrechtsgedanken populär gemacht. Er war allerdings nicht der Erste, der Tieren moralische Rechte zusprach. Auch der Jurist und Philosoph Jeremy Bentham (1748 bis 1832) befand in seinem unter Vegetariern beliebten Zitat aus dem Jahr 1789, dass die Leidensfähigkeit das entscheidende Kriterium für die moralische Berücksichtigung sei: »Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder das Ende des Kreuzbeins gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein empfindendes Wesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. Warum soll sonst die unüberwindbare Grenze gerade hier liegen? Ist es die Fähigkeit zu denken oder vielleicht die Fähigkeit zu reden? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere sowie mitteilsamere Tiere als ein einen Tag, eine Woche oder gar einen Monat alter Säugling. Aber angenommen dies wäre nicht so, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht ›Können sie denken?‹ oder ›Können sie reden?‹, sondern ›Können sie leiden?‹«
Der Wurstvegetarier
Als angehender Biologe war ich bereits zu der Ansicht gekommen, dass es keine prinzipielle Grenze zwischen Menschen und (anderen) Tieren gibt, sondern dass Arten lediglich verschiedene Eigenschaften besitzen, die sich zweifellos beträchtlich voneinander unterscheiden können. Somit war ich von Singers moralischen Überlegungen schnell zu überzeugen. Ich »konvertierte« zwar nicht ganz von heute auf morgen zum Vegetarismus, hörte jedoch bald auf, Fleisch zu kaufen und rationierte streng die Wurst. So wurde auf der Studienfahrt nach Russland eine einzelne Ziegenwurst mein wertvollster Proviant.
Die erste Herausforderung stand an, als die Ziegenwurst gegessen war. Während die meisten meiner Kommilitonen und vermutlich alle Russen auf der Forschungsstation mittags Hühnchenschlegel aßen, begnügten ich und zwei, drei vegetarische Mitstreiter uns mit Kartoffelbrei. Sonst nichts. Nach dem dritten Mahl hatte ich genug davon und aß ebenfalls Hühnchen. Meine alte Fleischlust war schnell wieder da, und ich vertagte meine Ernährungsumstellung. Nachts, zur Mittsommernacht am Polarkreis war es entsprechend hell, versuchte ich mich sogar im Fischfang, nur mit Angelschnur und Brot am Haken,
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