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Kein Freibier für Matzbach

Kein Freibier für Matzbach

Titel: Kein Freibier für Matzbach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Neumann, während er die Tür aufschloß.
    »Dir auch einen recht angenehmen Morgen.« Matzbach schob den Autobastler vor sich her ins weiträumige Studierzimmer.
    »Heidegger«, sagte er dann. »Und ein böser Schnitzer. Mir fehlt aber noch was. Play it again, Sam.« Er ließ sich in den nächststehenden Ledersessel fallen und wies auf die Musikanlage.
    Tobias hob die Schultern, schob die Kassette ein und regulierte die Lautstärke. Wieder lauschten sie dem unerträglich näselnden Schwaben, der mit Beinahe-Falsett einen hermetischen Text vortrug. Nachdem er sich das ein paar Sekunden angehört hatte, nickte Matzbach.
    »Gut«, brüllte er, um die Deklamation zu übertönen. »Das reicht.«
    Neumann drückte die Stopptaste. »Mir reicht’s schon lange, aber darf ich jetzt mal irgendwas wissen?«
    »Langsam. Sag mir zuerst, ob du was erreicht hast, telefonmäßig, in Sachen Auto?«
    »Hab ich. Ein Schrottplatz bei Hilden.«
    »Sehr fein. Und können wir ran?«
    »Kein Problem. Von wegen Kollege aus der Branche und so. Also?«
    Matzbach wickelte langsam, umständlich, eine Davidoff aus, zündete sie zeremoniell an und paffte. Erst danach räusperte er sich und begann zu reden.
    »Ich habe immer gesagt, die unwahrscheinlichen Zufälle sind auf meiner Seite, arbeiten
für
mich, aber so unwahrscheinlich zufällig wie bei dieser Sache war es noch nie.« Er rümpfte die Nase und blies Rauch in Richtung Schreibtisch. »Deshalb macht es fast keinen Spaß, ehrlich gesagt.«
    Neumann ging aus den Rauchschwaden zur Fensterbank, lehnte sich gegen die Kante und stöhnte. »Nun bin ich schon sehr viel klüger. Mann, komm doch endlich zur Sache!«
    »Heidegger«, sagte Matzbach; es klang nun fast wie ein Refrain. Er zog gefaltete Blätter aus der Innentasche seiner hellen Leinenjacke. »Dein seliger Onkel mochte Heidegger nicht, hat ihn schon damals, als wir alle so taten, als ob wir studieren wollten, ziemlich gründlich gehaßt. Trotzdem hat er fürs Wintersemester eine Vorlesung über Heidegger angesetzt und vorbereitet.« Er klopfte auf die Papiere. »Das hier lag auf dem Schreibtisch, wie du dich erinnern wirst.« Er suchte ein Blatt aus dem Wust und las laut, energisch, mit ironischem Unterton: » ›Allgemeines Geschwätz erspart einem das Denken, dessen mutmaßliche Ergebnisse es bereits voraussetzt. Sprache, wesentliches Kennzeichen der menschlichen Existenz und Mittel der Welterkenntnis, kann zu Geschwätz verfallen, Welt und Existenz vernebeln statt zu erhellen. Das geschieht ohne Absicht des Schwätzenden, geschieht gewissermaßen automatisch ..., und wenn wir zugunsten einer Zusammenfassung auf die weitere Übersetzung verzichten, finden wir in diesem Passus die Kernaussage:
Wer schwätzt, denkt nicht
. Fürwahr eine tiefe Erkenntnis‹.«
    Tobias Neumann stöhnte abermals und nickte. »Ich erinnere mich, leider. Und, was ist damit?«
    Matzbach grinste, steckte die Zigarre in den rechten Mundwinkel und reichte Tobias ein Blatt. Es war eine Fotokopie. »Lies das mal, laut.«
    Neumann nahm den Wisch und hielt ihn mit langen Armen und spitzen Fingern, als ob er sein Gesicht in Sicherheit bringen wollte für den Fall, daß die Buchstaben vom Papier aufstünden und kleckernd in der Gegend herumflögen.
    » ›Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine indifferente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist. Die Rede, die zur wesenhaften Seinsverfassung des Daseins gehört und dessen Erschlossenheit mit ausmacht, hat die Möglichkeit, zum Gerede zu werden und als dieses das In-der-Welt-sein nicht so sehr in einem gegliederten Verständnis offenzuhalten, sondern zu verschließen und das innerweltlich Seiende zu verdecken. Hierzu bedarf es nicht einer Absicht auf Täuschung. Das Gerede hat nicht die Seinsart des
bewußten Ausgebens
von etwas als etwas. Das bodenlose Gesagtsein und Weitergesagtwerden reicht hin, daß sich das Erschließen verkehrt zu einem Verschließen. Denn Gesagtes wird zunächst immer verstanden als ’sagendes’, das ist entdeckendes. Das Gerede ist sonach von Hause aus, gemäß der ihm eigenen
Unterlassung
des Rückgangs auf den Boden des Beredeten, ein Verschließen. Dieses wird erneut dadurch gesteigert, daß das Gerede, darin vermeintlich das Verständnis des Beredeten erreicht ist, auf Grund dieser Vermeintlichkeit jedes neue Fragen und alle Auseinandersetzung hintanhält und in eigentümlicher Weise niederhält und

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