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Kein Freibier für Matzbach

Kein Freibier für Matzbach

Titel: Kein Freibier für Matzbach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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mußt dir ganz schnell was anderes ausdenken.«
    »Aber wie bist du darauf gekommen?«
    Matzbach zuckte mit den Schultern. »Ein ganzer Haufen Dinge. Erstens mal zuviel Heidegger für einen, der weiß, daß Carlo Heidegger nicht mochte. Zweitens – Carlo ist in Reutlingen aufgewachsen und geflohen, sobald es ging. Unter anderem, weil er den Dialekt nicht ertragen konnte. Auch das weiß man nur, wenn man’s zufällig weiß. Ich sag ja, die unwahrscheinlichen Zufälle ... Und Carlo soll sich ausgerechnet ein Stück Heidegger ausgerechnet auf Schwäbisch anhören? Nimmer. Auch noch mit Störsender im Recorder ...«
    Neumann schwieg einen Moment. »Was machen wir eigentlich hier?« sagte er dann. »Das hättest du mir doch alles unterwegs erklären können.«
    »Ich wollte die entzückende Schwäbelei noch mal hören. Etwas nachsehen. Und die einzelnen Punkte beziehungsweise Funde durchgehen, einfach so, um sicher zu sein, daß wir nichts übersehen haben.«
    »Was willst du nachsehen?«
    Matzbach stemmte sich aus dem Sessel und ging zu einem der Regale. »Nachsehen, ob Carlo ein paar Publikationen von Professor Huber besitzt.« Er wanderte zum nächsten Regal, grunzte, zog einen Band heraus, blätterte und kicherte.
»Dä
, wie die alte Dame sagte, als ihre uneheliche Tochter einen Bastard gebar. Kuck mal.«
    Neumann löste sich widerstrebend von der Fensterbank und kam herüber. Er nahm den Band und betrachtete die Titelseite. »Nette Widmung. ›Da, du altes Arschloch, damit du es endlich kapierst.‹ Ist das der übliche Umgangston unter Profs?«
    »Frag mich nicht, ich war nie einer.« Matzbach klappte das Buch zu und stellte es zurück.
    »Partielle Negation«, murmelte Neumann; er schien in sich hineinzulauschen.
    »Was ficht dich an?«
    Neumann zog den Inhalt seiner Nase hoch. »Ich hab da doch ein bißchen Probleme, je länger ich drüber nachdenke, Ich mein, das interessiert doch nun wirklich keine Sau und hat nix mit dem Leben zu tun, oder? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß man deswegen einen umbringt.«
    Matzbach nickte, mit einem sehr freundlichen Lächeln. »Du legst den Finger auf einen vereiterten Pickel, Junge. Es hat wirklich nur Bedeutung für Zunftgenossen, nicht für die Welt allgemein. Aber für die Zunft um so mehr.«
    »Trotzdem.« Neumann stampfte auf. »Ist denn dieser Kram, von wegen ›partielle Negation‹ und so weiter, wirklich so viel unverständlicher als die Übersetzung von Onkel Carlo? Die Leute, für die so was bestimmt ist, verstehen es doch, oder?«
    »Hmf.« Baltasar verschränkte die Arme vor der Brust und schob den Unterkiefer vor. »Jein. Sagen wir mal so: Es ist möglich, sich für die Dauer eines Gesprächs oder Vertrags darauf zu einigen, daß bestimmte Wörter anders benutzt werden sollten, weil die gewöhnliche Bedeutung für den vorgesehenen Zweck nicht ausreicht. Sagen wir, zum Beispiel, ›Loch‹. Wir wollen betonen, daß da nicht etwa ein Loch ist, sondern daß an dieser Stelle das, was ringsum ist, aufhört, ja? Also sagen wir zum Bleistift partielle Negation des Gesäßes statt Arschloch, weil es uns nicht um das Ende des Darms geht, sondern um die verwunderliche Tatsache, daß die zur Seßhaftigkeit notwendige Wölbung hier eine Unterbrechung erfährt.«
    Neumann grinste. »Ist das Philosophie? Wenn ja, dann versteh ich es. Wenn nein, versteh ich es auch.«
    »Gut, gut, mein Sohn. Welch linder Fortschritt durch die gnadenlose Güte der Götter. Aber weiter. So etwas kann man mit zwei oder drei Begriffen machen, auf die man sich geeinigt hat. Wenn diese Begriffe dann genannt werden, erinnert man sich an die neue Definition, die vorher erarbeitet wurde, und alles paletti. Wenn aber der ganze Text aus solchen Ungetümen besteht, kann man sie nicht
so
aufnehmen, sondern muß sie erst im Kopf zurückübersetzen. Das heißt, der ganze Vorgang ist sinnlos.
    Also: Jemand, der wie alle mit Wörtern denkt, stellt fest, daß die Sprache nicht ausreicht, um die Welt eindeutig zu erfassen. Die gewöhnliche Sprache, das
Gerede
. Deshalb erfindet er eine neue, die außer ihm keiner versteht und die auch nicht aus Weltteilen, sondern aus Wörtern besteht. Angeblich drücken diese neuen Wörter viel mehr viel genauer aus, bloß muß jeder, der das hört oder liest, alles im Kopf zuerst mal in gewöhnliche Sprache rückübersetzen, klar? Irgendwann kommt man zu dem Punkt, wo man vereinbart,
Abrakadabra
heißt, ›ab sofort bestehe die Welt aus Käse‹. Wenn man

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