Kein Friede den Toten
zu ersparen. Candi liegt auf dem Holy-Mother-Friedhof in Coaldale, glaube ich. Ich war dort, um ihr Respekt zu erweisen. Es war eine ziemlich bewegende Erfahrung.«
»Kann ich mir vorstellen. Verfolgen Sie auch, was mit den Erotiktänzerinnen passiert, wenn sie aus dem Geschäft aussteigen?«
»Selbstverständlich«, sagte er, als hätte sie einen Pfarrer gefragt, ob er je eine Messe besuchte. »Oft ist das sogar das Spannendste. Sie können sich nicht vorstellen, wie verschieden die Lebenswege sind, die sie hinterher beschreiten.«
»Okay. Und was ist mit dieser Kimmy Dale passiert?«
»Sie ist noch im Geschäft. Ein echter Dauerbrenner. Sie sieht nicht mehr so gut aus. Sie – entschuldigen Sie das Wortspiel – ist gewissermaßen die Stange weiter heruntergerutscht. Für Schlagzeilen reicht’s nicht mehr. Eine kleine Fangemeinde hat Kimmy aber immer noch. Was sie an, sagen wir, Glanz und Körperspannung verloren hat, macht sie zum Teil durch Erfahrung wieder wett. Sie ist aber nicht mehr in Las Vegas.«
»Wo ist sie?«
»Das letzte Mal, als ich von ihr gehört habe, war sie in Reno.«
»Noch was?«
»Eigentlich nicht«, sagte Friedman. Dann schnippte er mit
den Fingern. »Moment, ich muss Ihnen noch was zeigen. Ich bin ziemlich stolz darauf.«
Sie warteten. Len Friedman trat an den mittleren der drei Aktenschränke in der Ecke. Er zog die zweite Schublade von oben heraus und wühlte darin herum. »Die Piccolo-Sayers-Nummer. Das ist eine Rarität, und es ist leider auch nur eine Farbkopie von einem Polaroid-Foto. Davon hätte ich wirklich gern noch mehr.« Er räusperte sich und suchte weiter. »Glauben Sie, Inspector Muse, dass ich eine Kopie vom Obduktionsbericht bekommen könnte?«
»Ich seh mal zu, was sich da machen lässt.«
»Es wäre wirklich eine ausgezeichnete Ergänzung meiner Studien.«
»Studien. Klar.«
»Hier ist es.« Er zog ein Foto heraus und legte es vor ihnen auf den Tisch. Yates sah es an und nickte. Er wandte sich Loren zu und sah ihren Gesichtsausdruck.
»Was ist?«, fragte Yates.
Friedman ergänzte: »Inspector Muse?«
Nicht hier, dachte Loren. Kein Wort. Sie starrte die verblichene Candace Potter, alias Candi Cane, alias Brianna Piccolo, alias das Mordopfer an.
»Das ist definitiv Candace Potter?«, stieß sie hervor.
»Ja.«
»Sind Sie sicher?«
»Selbstverständlich.«
Yates schaute sie fragend an. Loren versuchte, nicht völlig die Fassung zu verlieren.
Candace Potter. Wenn das wirklich Candace Potter war, dann war sie kein Mordopfer. Sie war gar nicht tot. Es ging ihr gut, und sie lebte in Irvington, New Jersey, zusammen mit ihrem Mann, dem verurteilten Straftäter Matt Hunter.
Sie waren die ganze Zeit auf dem falschen Dampfer gewesen.
Matt Hunter war nicht das Verbindungsglied. Endlich ließen sich ein paar Einzelteile zusammenfügen.
Weil Candace Potter ein neues Pseudonym hatte.
Sie war Olivia Hunter.
47
Adam Yates versuchte, cool zu bleiben.
Sie standen wieder draußen im Vorgarten der Friedmans. Es war verdammt eng gewesen. Als dieser Friedman-Spinner davon angefangen hatte, dass kein Wort nach draußen dringen durfte, hätte dies das Ende sein können – das Ende seiner Karriere, seiner Ehe, selbst seiner Tage in Freiheit. Von allem.
Yates musste die Zügel anziehen.
Er wartete, bis sie im Wagen saßen. Dann fragte Yates, so ruhig er konnte: »Und was sollte das jetzt?«
»Candace Potter ist noch am Leben«, sagte Muse.
»Wie bitte?«
»Sie ist gesund und munter und Matt Hunters Frau.«
Yates hörte sich Lorens Erklärung an. Es traf ihn ins Mark. Als sie fertig war, bat er sie um den Obduktionsbericht. Sie reichte ihm die Unterlagen.
»Keine Fotos vom Opfer?«
»Das ist nicht die ganze Akte«, sagte Loren. »Sie hat mir nur die Seiten gefaxt, die Max Darrow betreffen. Ich nehme an, dass er irgendwie auf die Wahrheit gestoßen ist: Candace Potter wurde nicht ermordet. Vielleicht hatte es was damit zu tun, dass das echte Opfer eine AIS-Frau war.«
»Aber warum hätte Darrow das jetzt überprüfen sollen? Nach so vielen Jahren?«
»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall müssen wir mit Olivia Hunter sprechen.«
Adam Yates nickte und versuchte, die ganze Geschichte zu begreifen. Es war nicht zu fassen. Olivia Hunter war Candace Potter. Die vermeintlich tote Stripperin Candi Cane. Sie war damals auch dabei gewesen, da war er sich sicher.
Und das bedeutete, wahrscheinlich – höchstwahrscheinlich – hatte Olivia Hunter das Video.
Also musste
Weitere Kostenlose Bücher