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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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war.

3
    Newark, New Jersey, 22. Juni
     
    Loren Muse, die Ermittlerin der Mordkommission der Staatsanwaltschaft Essex County, saß im Büro ihres Chefs.
    »Einen Moment mal«, sagte sie. »Wollen Sie mir etwa weismachen, dass die Nonne Brustimplantate getragen hat?«
    Ed Steinberg, der Staatsanwalt von Essex County, strich über seinen Kugelbauch. Von hinten hätte man nur seinen schlanken Hintern gesehen und gar nicht vermutet, dass er dick war. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. In den Achselhöhlen war sein Hemd gelb verfärbt. »Sieht so aus, ja.«
    »Aber sie ist eines natürlichen Todes gestorben?«
    »Das haben wir zumindest geglaubt.«
    »Und jetzt glauben Sie es nicht mehr?«
    »Ich glaube gar nichts mehr«, sagte Steinberg.
    »Atheismus ist jetzt nicht das Thema, Chef.«
    »Nein, ist er nicht.« Steinberg seufzte und setzte seine Lesebrille auf. »Schwester Mary Rose, eine Gemeinschaftskundelehrerin für die zehnten Klassen, wurde in ihrem Zimmer im Kloster tot aufgefunden. Auf den ersten Blick waren weder Wunden noch irgendwelche Kampfspuren zu erkennen. Sie war zweiundsechzig Jahre alt. Anscheinend ein ganz normaler Tod – Herzanfall oder so. Es war nichts Verdächtiges zu sehen.«
    »Aber?«, leitete Loren ein.
    »Aber es gibt eine neue Entwicklung.«
    »Die üblichen Komplikationen.«
    »Das können wir noch nicht genau sagen.«
    Loren hob beide Hände. »Ich versteh immer noch nicht, was ich hier soll.«
    »Nehmen wir einfach mal an, Sie wären die beste Mordermittlerin im Staat?«

    Loren verzog das Gesicht.
    »Ja, ich dachte mir schon, dass das bei Ihnen nicht zieht. Diese Nonne …«, wieder schob Steinberg sich die Lesebrille vor die Augen, » … hat in der St. Margaret’s High School unterrichtet.« Er sah sie an.
    »Und?«
    »Und Sie sind da zur Schule gegangen, stimmt’s?«
    »Da frage ich noch einmal: Und?«
    »Die Schwester Oberin hat sich also auf ein Glas Saft mit ein paar hohen Tieren aus dem County getroffen. Sie hat darum gebeten, dass wir Ihnen den Fall übertragen.«
    »Schwester Katherine?«
    Er sah in der Akte nach. »Ja, so heißt sie.«
    »Das ist ein Witz, oder?«
    »Nein. Offensichtlich hatte sie irgendwo noch was gut. Und sie hat namentlich nach Ihnen verlangt.«
    Loren schüttelte den Kopf.
    »Ich entnehme Ihrer Reaktion, dass Sie sie kennen.«
    »Schwester Katherine? Nur weil ich andauernd zu ihr ins Büro musste.«
    »Moment, Sie waren kein braves und gehorsames Kind?« Steinberg legte die Hand aufs Herz. »Ich bin schockiert.«
    »Ich versteh immer noch nicht, warum sie ausgerechnet mich haben will.«
    »Vielleicht hofft sie, dass Sie diskret sind.«
    »Ich hasse den Laden.«
    »Warum?«
    »Sie haben nicht zufällig eine katholische Schule besucht?«
    Er deutete auf sein Namensschild und fuhr langsam mit dem Zeigefinger über die Buchstaben. »Steinberg«, las er bedächtig vor. »Man beachte das Stein. Und das Berg. Diese Namen sind Ihnen in der Gemeinde wohl nicht sehr oft begegnet.«
    Loren nickte. »Stimmt. Aber dann könnte ich genauso gut
versuchen, einem Tauben zu erklären, was Musik ist. Wer kriegt meine Berichte?«
    »Ich.«
    Das überraschte sie. »Ich arbeite direkt mit Ihnen zusammen?«
    »Direkt und exklusiv. Sonst erfährt keiner was davon, klar?«
    Sie nickte. »Klar.«
    »Dann sind Sie bereit?«
    »Für was?«
    »Für die Schwester Oberin?«
    »Was ist mit ihr?«
    Steinberg stand auf und schlenderte um den Schreibtisch. »Sie wartet nebenan. Sie wollte Sie persönlich sprechen.«

    Als Loren Muse die St. Margaret’s Mädchenschule besuchte, war die Ehrwürdige Schwester Oberin Katherine vier Meter groß und ungefähr hundert Jahre alt gewesen. Im Laufe der Jahre war sie geschrumpft, und der Alterungsprozess hatte sich umgekehrt – wenn auch nicht viel. Zu Lorens Zeit an der St. Margaret’s hatte Oberin Katherine stets volles Ornat getragen. Jetzt trug sie etwas unverkennbar Kirchliches, das aber weitaus legerer wirkte. Die klerikale Antwort auf Banana Republic, wie Loren vermutete.
    Steinberg sagte: »Dann lasse ich Sie jetzt allein.«
    Die Oberin erhob sich. Sie hielt die Hände zum Gebet bereit gefaltet. Steinberg schloss die Tür hinter sich. Keiner sagte etwas. Loren kannte diese Technik. Sie würde nicht als Erste das Wort ergreifen.
    In ihrem zweiten Jahr auf der Livingston High School war Loren zur ›Problemschülerin‹ erklärt und nach St. Margaret’s geschickt worden. Loren war damals ein zierliches

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