Kein Friede den Toten
nicht entmutigen. Er überredete seine Partner, Matt als »Sachbearbeiter« einzustellen. Dieser wunderbare und allumfassende Begriff bedeutete, dass er vor allem für die lästigen Routinetätigkeiten zuständig war.
Anfangs gefiel das den Teilhabern von Carter Sturgis nicht. Das überraschte Matt und Bernie nicht. Ein Exknacki in ihrer noblen Kanzlei? Das ging doch nicht. Aber Bernie appellierte an ihre zur Schau getragene Menschlichkeit: Matt sei gut für die PR. Er beweise, dass die Kanzlei ein Herz hätte und Menschen eine zweite Chance gebe – zumindest in der Theorie. Matt sei klug. Fachlich ein echter Gewinn für die Kanzlei. Außerdem könne Matt die Hauptarbeit bei den Probono-Fällen übernehmen, so dass die Teilhaber sich ihre tiefen Taschen vollstopfen könnten, ohne dass die Unterschicht sie behelligte.
Folgende zwei Argumente hatten schließlich den Ausschlag gegeben: Matt würde billig arbeiten – schließlich hatte er keine andere Wahl. Und sein Bruder Bernie, der der Kanzlei viel Geld einbrachte, würde aussteigen, falls sie den Vorschlag nicht akzeptierten.
Die Teilhaber waren in sich gegangen: Vielleicht konnte man tatsächlich Gutes tun und seinen Vorteil daraus ziehen? War das nicht die Logik, die auch den meisten anderen Wohltätigkeitsveranstaltungen zugrunde lag?
Matt starrte das leere Display an. Sein Herz tanzte einen kurzen Twostep. Wer, fragte er sich, ist der Mann mit den blauschwarzen Haaren?
Rolanda stemmte die Hände in die Hüfte. »Erde an Blödmann«, sagte sie.
»Was?« Matt erwachte aus seiner Trance.
»Alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut.«
Rolanda sah ihn zweifelnd an.
Wieder vibrierte das Fotohandy. Rolanda verschränkte die Arme und blieb vor ihm stehen. Matt blickte sie an. Sie verstand den Wink nicht. Takt war nicht ihre Stärke. Wieder vibrierte das Handy, dann erklang die Batman-Melodie.
»Willst du nicht rangehen?«, fragte Rolanda.
Er blickte aufs Display. Wieder zeigte es die Handynummer seiner Frau an.
»Yo, Batman.«
»Ich bin ja schon dabei«, sagte Matt.
Er legte den Daumen auf die grüne Empfangstaste und zögerte dann einen Moment lang, bevor er sie drückte. Das Display wurde wieder hell.
Jetzt erschien ein Video.
Die Technologie machte zwar gewaltige Fortschritte, das wacklige Videobild war aber trotzdem zwei Klassen schlechter als der 8-mm-Film, den Abraham Zapruder von Kennedys Ermordung gemacht hatte. In den ersten zwei Sekunden erkannte Matt nicht, was geschah. Er wusste, dass das Video nicht lange laufen würde. Höchstens zehn, fünfzehn Sekunden.
Es war ein Zimmer. Das sah er. Die Kamera schwenkte über einen Fernseher auf einem Schrank. An der Wand hing ein Bild. Matt erkannte es nicht, hatte aber den Eindruck, dass es ein Hotelzimmer war. An der Badezimmertür blieb die Kamera stehen.
Dann erschien die Frau. Sie hatte platinblonde Haare. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille und ein aufreizendes, blaues Kleid. Matt runzelte die Stirn.
Was sollte das?
Die Frau blieb einen Moment lang stehen. Offenbar wusste sie nicht, dass sie gefilmt wurde. Die Kamera folgte ihr. Es gab einen hellen Blitz, ein Sonnenstrahl, der durchs Fenster in den Raum fiel, dann war alles wieder zu erkennen.
Als die Frau zum Bett ging, stockte ihm der Atem.
Matt kannte den Gang.
Er kannte auch die Bewegung, mit der sie sich aufs Bett setzte, das zaghafte Lächeln und die Art, wie sie das Kinn hob und die Beine übereinanderschlug.
Er rührte sich nicht.
Er hörte Rolandas Stimme. Sie sprach jetzt leiser. »Matt?«
Er beachtete sie nicht. Die Kamera war jetzt offenbar abgelegt. Wahrscheinlich auf eine Kommode. Sie war immer noch aufs Bett gerichtet. Ein Mann ging auf die Blondine zu. Matt sah seinen Rücken. Er trug ein rotes Hemd und hatte blauschwarze Haare. Er versperrte den Blick auf die Frau. Und aufs Bett.
Matts Blick verschwamm. Er blinzelte, damit er wieder klar sehen konnte. Das LCD-Display wurde dunkler. Das Bild flimmerte kurz und verschwand dann, und Matt saß da, während Rolanda ihn weiter neugierig anstarrte, die Fotos auf der Schreibtischseite seines Bruders immer noch an ihren alten Plätzen standen, und er sich sicher war – na ja, ziemlich sicher, schließlich war das Display gerade einmal drei Zentimeter breit, oder? –, dass die Frau in dem fremden Hotelzimmer, die Frau in dem aufreizendem Kleid auf dem Bett, eine platinblonde Perücke getragen hatte und eigentlich brünett war, und dass sie Olivia hieß und seine Frau
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