Kein Friede den Toten
Notaufnahme im Erdgeschoss. Olivia Hunter saß am Empfangstisch.
»Hey«, sagte Loren.
»Hi.« Olivia rang sich ein Lächeln ab. »Ich bin gerade erst runtergekommen, um nach Kimmy zu sehen.«
Olivia hatte keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Kimmy Dale beantwortete am anderen Ende des Flurs gerade die letzten Fragen. Sie trug den Arm in einer Schlinge. Die Kugel hatte den Knochen verfehlt, aber viele Muskeln und anderes Gewebe zerstört. Die Heilung würde lange dauern und diverse Rehabilitationsmaßnahmen nach sich ziehen. Aber heutzutage, wo man die Leute so schnell wieder aus dem Krankenhaus warf – Bill Clinton hatte sechs Tage, nachdem man ihm die Brust aufgeschnitten hatte, schon wieder in seinem Garten gesessen und gelesen –, fragten die Polizisten nicht lange. Kimmy durfte nach Hause gehen, die Stadt aber nicht verlassen.
»Wo ist Matt?«, fragte Loren.
»Er ist gerade aus dem OP gekommen«, sagte Olivia.
»Wie ist es gelaufen?«
»Der Arzt meint, er wird wieder.«
Die Kugel aus Dollingers Pistole hatte Matts Oberschenkelknochen direkt unter dem Hüftgelenk gestreift. Die Ärzte mussten ein paar Knochenschrauben anbringen. Sie hatten es als relativ geringfügigen chirurgischen Eingriff bezeichnet. Matt durfte das Krankenhaus in zwei Tagen wieder verlassen.
»Sie sollten sich etwas ausruhen«, sagte Olivia.
»Geht nicht«, sagte Loren. »Ich bin viel zu aufgedreht.«
»Ja, ich auch. Setzen Sie sich doch zu Matt, falls er aufwacht. Ich seh nur kurz nach Kimmy, dann komm ich auch hoch.«
Loren fuhr mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock. Sie setzte sich neben Matts Bett. Sie dachte über den Fall nach, über Adam Yates, darüber, wo er war und was er tun könnte.
Nach einigen Minuten blinzelte Matt ein paar Mal. Dann öffnete er die Augen. Er sah sie an.
»Hey, du Held«, sagte Loren.
Matt lächelte ihr kurz zu. Er drehte den Kopf nach rechts.
»Olivia?«
»Sie ist unten bei Kimmy.«
»Und Kimmy …?«
»Es geht ihr gut. Olivia kümmert sich um sie.«
Er schloss die Augen. »Du musst was für mich tun.«
»Warum ruhst du dich nicht erst mal ein bisschen aus?«
Matt schüttelte den Kopf. Mit schwacher Stimme fuhr er fort: »Du musst mir ein paar Telefonlisten besorgen.«
»Jetzt?«
»Das Fotohandy«, sagte er. »Das Foto und das Video. Das passt immer noch nicht zusammen. Warum hätten Dollinger und Yates die machen sollen?«
»Das waren sie nicht. Das war Darrow.«
»Aber warum …« Wieder schloss er die Augen. »Warum hätte er das tun sollen?«
Loren dachte darüber nach. Dann schlug Matt plötzlich die Augen auf. »Wie spät ist es?«
Sie sah auf die Uhr. »Halb zwölf.«
»Nachts?«
»Natürlich nachts.«
Da fiel es Loren wieder ein. Das Treffen um Mitternacht. Im Eager Beaver. Sie griff zum Telefon und rief am Empfang der Notaufnahme an.
»Hier ist Inspector Muse. Ich war gerade bei Ihnen unten mit einer Olivia Hunter zusammen. Sie hat auf eine Patientin namens Kimmy Dale gewartet.«
»Schon klar«, sagte die Schwester. »Ich hab Sie gesehen.«
»Sind die beiden noch da?«
»Wer, Miss Dale und Miss Hunter?«
»Ja.«
»Nein, die sind gleich raus, als Sie nach oben gefahren sind.«
»Raus?«
»Ins Taxi gestiegen.«
Loren legte auf. »Sie sind weg.«
»Gib mir das Telefon«, sagte Matt, der immer noch auf dem Rücken lag. Sie hielt es ihm direkt ans Ohr. Matt nannte ihr Olivias Handynummer. Es klingelte dreimal, dann hörte er Olivias Stimme.
»Ich bin’s«, sagte er.
»Geht’s dir gut?«, fragte Olivia.
»Wo bist du?«
»Kannst du dir doch denken.«
»Du glaubst immer noch …«
»Sie hat angerufen, Matt.«
»Was?«
»Sie hat Kimmy auf dem Handy angerufen. Natürlich kann das auch jemand anders gewesen sein. Sie hat gesagt, dass das Treffen noch geplant ist, aber ohne Polizei, ohne Ehemänner oder sonst wen. Wir sind jetzt auf dem Weg dahin.«
»Olivia, das ist eine Falle. Es muss eine Falle sein. Und das weißt du auch.«
»Ich komm schon klar.«
»Loren ist unterwegs.«
»Nein, bitte, Matt. Ich weiß, was ich tue. Bitte.«
Dann legte Olivia auf.
59
23:50,
The Eager Beaver,
Reno, Nevada
Als Olivia und Kimmy ankamen, deutete der Dicke an der Tür auf Kimmy und sagte: »Du bist zu früh gegangen. Du musst noch ein paar Stunden nachholen.«
Kimmy zeigte ihr den Arm in der Schlinge. »Ich bin verletzt.«
»Was soll das heißen? Kannst du dich damit etwa nicht ausziehen?«
»Ist das dein Ernst?«
»So«, er deutete auf sein
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