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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Tür offen.
    Matt stand auf und trat ans Fenster. Er betrachtete das Foto von Bernies Söhnen in Fußball-Kleidung. Vor drei Jahren hatten Bernie und Marsha dieses Bild als Weihnachtsgruß an Freunde und Verwandte verschickt. Es steckte in einem bronzefarbenen Fertigrahmen, wie man ihn in Drogeriemärkten kaufen kann. Paul und Ethan waren fünf und drei Jahre alt gewesen, als das Foto aufgenommen worden war, und so hatten sie auch gelächelt. Jetzt lächelten sie nicht mehr so. Sie waren nette Jungs, die sich gut einfügten – und dennoch spürte man die Traurigkeit, die zu ihrem ewigen Begleiter geworden war. Wenn man genau hinsah, erkannte man die Zurückhaltung in ihrem Lächeln, das Zucken in den Augen, die Angst, dass ihnen noch etwas genommen werden könnte.
    Und was konnte er jetzt tun?
    Das Naheliegende, entschied er. Ruf Olivia an. Damit du weißt, woran du bist.
    Das klang einerseits vernünftig, andererseits lächerlich. Was
sollte da passieren? Würde er den schweren Atem seiner Frau und einen im Hintergrund lachenden Mann hören? Oder würde Olivia sich im üblichen fröhlichen Tonfall melden? Und dann? Was würde er sagen? »Hi, Schatz. Sag mal, was ist das mit dem Motel …«, vor seinem inneren Auge hatte sich das Hotelzimmer in ein schäbiges Motelzimmer verwandelt, und so gab der Wechsel vom H zum M dem Ganzen eine neue Bedeutung, » … und der platinblonden Perücke und dem Kerl mit den blauschwarzen Haaren?«
    So funktionierte das nicht.
    Seine Fantasie ging mit ihm durch. Es musste eine logische Erklärung für die ganze Sache geben. Er fand sie zwar bisher noch nicht, das hieß aber keineswegs, dass es sie nicht gab. Matt kannte die Fernsehsendungen, in denen Zauberer ihre Tricks verrieten. Wenn man den Trick sah, hatte man keine Ahnung, wie er funktionierte, nachdem sie einem aber die Lösung gezeigt hatten, fragte man sich, wie man so dumm gewesen sein konnte, nicht gleich beim ersten Mal dahinterzukommen. So musste es auch hier sein.
    Da ihm keine andere Möglichkeit einfiel, entschloss er sich, Olivia anzurufen.
    Olivias Handynummer war im ersten Schnellspeicher seines Handys. Er drückte die Taste und hielt sie fest. Er hörte den Klingelton. Er starrte aus dem Fenster auf Newark hinab. Wie fast immer betrachtete er die Stadt mit gemischten Gefühlen. Er sah das Potential, das in ihr steckte, das Leben, vor allem aber sah er den Verfall und schüttelte den Kopf. Aus irgendeinem Grund musste er an den Tag denken, als Duff ihn im Gefängnis besucht hatte. Duff hatte angefangen, ihn anzuschreien, und sein Gesicht war rot angelaufen, so dass er wie ein kleines Kind aussah. Matt hatte ihn nur angesehen. Sie hatten sich nichts zu sagen gehabt.
    Es klingelte sechs Mal, dann schaltete sich Olivias Mailbox
ein. Als er die fröhliche Stimme seiner Frau hörte, die so vertraut klang, die … seine war, stockte ihm das Herz. Er wartete geduldig, bis Olivia ihre Ansage beendet hatte. Dann ertönte der Piepton.
    »Hey, ich bin’s«, sagte er. Er versuchte, die Anspannung nicht zu deutlich durchklingen zu lassen. »Kannst du mich kurz zurückrufen, wenn du zwischendurch Zeit hast?« Er machte eine Pause. Normalerweise beendete er das Gespräch mit einem flüchtigen »Ich liebe dich«, doch dieses Mal drückte er die Beenden-Taste ohne diese Worte, die ihm sonst wie von selbst über die Lippen kamen.
    Er sah aus dem Fenster. Im Gefängnis hatten ihm am Ende nicht die Brutalität oder der Ekel zugesetzt. Ganz im Gegenteil. Viel schlimmer war, dass man sich an diese Dinge gewöhnte. Nach einer Weile mochte Matt seine Kameraden von der Aryan Nation – er war gern in ihrer Gesellschaft. Eine perverse Variante des Stockholm-Syndroms. Es geht nur ums Überleben. Das Gehirn stellt alles andere zurück. Und so kann alles zur Normalität werden. Deshalb hatte Matt sich nach seiner Entlassung erst einmal zurückgezogen.
    Er dachte an Olivias Lachen. Es hatte ihn aus seiner Isolation herausgeholt. Er fragte sich, ob dieses Lachen nur ein weiteres, grausames Wunder gewesen war, das ihn mit seiner Freundlichkeit verhöhnte.
    Dann tat Matt etwas sehr Eigenartiges.
    Er nahm das Handy in die Hand, streckte den Arm aus und machte ein Foto von sich. Er lächelte nicht. Er sah einfach nur in die Linse. Das Foto war dann auf dem kleinen Display zu sehen. Er betrachtete sein eigenes Gesicht und wusste nicht recht, was er darin sah.
    Er gab Olivias Nummer ein und schickte ihr das Foto.

5
    Zwei Stunden vergingen.

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