Kein Friede den Toten
zusah, wie das Grün sich in Braun verwandelte. Hier in Irvington interessierte das niemanden.
Rasen war Spielzeug für reiche Leute.
Matt und Olivia wohnten in einem maroden Zweifamilienhaus, das nur noch von der Aluminium-Verkleidung zusammengehalten wurde. Ihnen gehörte die rechte Doppelhaushälfte, den Owens, einer fünfköpfigen afroamerikanischen Familie, die linke. Beide Hälften hatten je drei Zimmer, ein Bad und eine Gästetoilette.
Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Als er im Haus war, drückte er die Kurzwahltaste für Olivia. Wieder meldete sich ihre Mailbox. Das überraschte ihn nicht. Er wartete auf den Piepton.
»Ich weiß, dass du nicht im Ritz bist«, sagte Matt. »Ich weiß, dass du die Frau mit der blonden Perücke warst. Ich weiß, dass dir niemand einen Streich gespielt hat. Ich weiß sogar über Charles Talley Bescheid. Also ruf mich an und erklär mir das Ganze.«
Er legte auf und blickte aus dem Fenster. An der Ecke war eine Shell-Tankstelle. Er betrachtete sie. Sein Atem ging flach und stoßweise. Er versuchte, ruhiger zu atmen. Er nahm einen Koffer aus dem Schrank, warf ihn aufs Bett und fing an, Kleidungsstücke hineinzustopfen.
Er brach ab. Koffer packen. Eine albernes und theatralisches Unterfangen. Hör auf mit dem Quatsch.
Olivia kommt morgen wieder nach Hause.
Und wenn nicht?
Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken. Sie kam nach Hause. Auf die eine oder andere Art würde sich innerhalb der nächsten Stunden alles klären.
Aber er scheute sich nicht mehr vor dem Herumschnüffeln. Er fing mit Olivias Schubladen an. Er hasste sich nicht einmal richtig dafür, dass er das tat. Die Stimme am Telefon hatte ihn in Panik versetzt. Er war sich jetzt sicher, dass Olivia im günstigsten Fall irgendetwas vor ihm verheimlichte. Also musste er feststellen, was es war.
Aber er fand nichts.
Weder in den Schubladen noch im Schrank. Er dachte an andere Verstecke, als ihm etwas einfiel.
Der Computer.
Er lief nach oben und schaltete ihn an. Der Computer fuhr hoch. Es schien ewig zu dauern. Matts rechtes Bein begann, nervös zu wippen. Er legte die Hand aufs Knie, um es zu beruhigen.
Sie hatten sich endlich ein Kabelmodem geleistet – die Einwahlverbindungen nahmen den Weg des Betamax-Videos –, und so war er nach wenigen Sekunden im Internet. Er kannte Olivias Passwort, obwohl er sich nie hätte träumen lassen, es für so etwas zu benutzen. Er loggte sich in ihr E-Mail-Konto ein und überflog die Nachrichten. Im Posteingang war nichts Überraschendes zu finden. Er sah in den älteren Mails nach.
Das Verzeichnis war leer.
Er wollte sich den Ordner mit den abgeschickten Mails ansehen. Mit dem gleichen Erfolg – es war alles gelöscht. Er probierte es im Papierkorb. Auch der war geleert worden. Er ging den »Verlauf« des Browsers durch und hoffte, so herauszufinden,
welche Internet-Seiten Olivia zuletzt besucht hatte. Aber auch der »Verlauf« war gelöscht worden.
Matt lehnte sich zurück und kam auf den einzigen logischen Schluss: Olivia hatte ihre Spuren verwischt. Und die Frage, die sich daraus ergab, lautete: Warum?
Einen Bereich konnte er noch prüfen: die Cookies.
Häufig löschten die Leute zwar den »Verlauf« ihres Browsers, aber mit den Cookies war das etwas anderes. Hätte Olivia die Cookies gelöscht, wäre Matt sofort aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Dann wäre zum Beispiel seine Yahoo!-Homepage nicht mehr automatisch geladen geworden. Amazon hätte nicht mehr gewusst, wer er war. Jemand, der seine Spuren verwischen wollte, würde versuchen, das zu vermeiden.
Es fiel auf, wenn man die Cookies löschte.
Er ging die Einstellungen durch und entdeckte schließlich den Ordner mit den Cookies. Es waren Unmengen. Er klickte auf den Datum-Button, so dass sie in chronologischer Reihenfolge sortiert waren, und holte die neuesten nach oben. Er überflog sie. Die meisten kannte er – Google, Office-Max, Shutterfly –, aber er entdeckte auch zwei unbekannte Domains. Er schrieb sich die Namen auf und wechselte wieder in den Browser.
Er gab die erste Adresse ein und drückte die Enter-Taste. Es war die Homepage der Nevada Sun News, einer Zeitung, bei der man sich registrieren musste, um Archivmaterial einzusehen. Der Hauptsitz der Zeitung war in Las Vegas. Er sah im »persönlichen Profil« nach. Olivia hatte sich unter falschem Namen und mit einer falschen E-Mail-Adresse angemeldet. Auch das war normal. Das machten sie beide, um nicht zu viel Werbemüll zu
Weitere Kostenlose Bücher