Kein Friede den Toten
Männer – es war nur eine Frau im Raum, und die hätte einem eine verpasst, wenn man sie als »Dame« bezeichnet hätte – blinzelten wie Fledermäuse im Strahl einer Taschenlampe. Es gab keine Jukebox, und es lief auch sonst keine Musik. Die Lautstärke der wenigen Gespräche, die hier geführt wurden, war ebenso gedämpft wie das Licht.
Mel stand wie immer hinter der Theke. Matt war seit mindestens zwei oder drei Jahren nicht mehr hier drin gewesen, trotzdem wusste Mel seinen Namen noch. Der Laden war eine echte Spelunke, wie man sie überall in den USA fand. Männer – wenigstens vorwiegend Männer –, die sich in ihrem Job abgerackert hatten, kamen hierher, um sich irgendeinen Rausch anzutrinken. Wenn man dabei ein bisschen herumprahlen oder ein paar Witze erzählen musste, war das schon in Ordnung, aber eigentlich ging es in solchen Läden eher um den Suff als um Trost oder Unterhaltung.
Vor seinem Gefängnisaufenthalt wäre Matt nie in einen Schuppen wie Mel’s gegangen. Jetzt mochte er härtere Kneipen.
Er wusste selbst nicht, warum. Die Männer hier waren dick und muskulös, ohne dabei durchtrainiert zu sein. Im Herbst und Winter trugen sie Flanellhemden, im Frühling und Sommer T-Shirts, die ihre Bowlingkugel-Bäuche betonten. Sie trugen das ganze Jahr über Jeans. Es kam nicht oft zu körperlichen Auseinandersetzungen, trotzdem ging man nur dann in einen solchen Laden, wenn man seine Fäuste auch gebrauchen konnte.
Matt setzte sich auf einen Hocker. Mel nickte ihm zu. »Bier?«
»Wodka.«
Mel schenkte ihm einen ein. Matt nahm das Glas, sah es an und schüttelte den Kopf. Probleme mit Schnaps ersäufen. Gab es ein größeres Klischee? Er kippte den Wodka runter und ließ die Wärme durch seinen Körper fluten. Mit einem Nicken bestellte er noch einen, aber Mel war schon am Einschenken. Matt kippte ihn gleich hinterher.
Allmählich fühlte er sich besser. Oder, um es anders auszudrücken: Er fühlte nicht mehr so viel. Sein Blick schweifte durch die Kneipe. Wie so oft hatte er den Eindruck, etwas fehl am Platz zu sein – ein Spion in feindlichem Territorium. Er fühlte sich nirgends richtig wohl – weder in seiner alten, weichen Welt, noch in der neuen, härteren. Also pendelte er zwischen beiden. Richtig gut ging es ihm nur – so jämmerlich das klingen mochte – in Olivias Nähe.
Scheiß auf sie.
Der dritte Kurze rann die Kehle hinunter. In seinem Kopf fing es an zu summen.
Yo, guck mal, trinkt schon wie ein Großer.
Er fühlte sich schon leicht benommen. Genau das hatte er gewollt. Es sollte einfach aufhören. Nicht für immer. Er wollte den Blues nicht ersäufen. Er wollte nur etwas Zeit gewinnen, ihn bis morgen herausschieben, bis Olivia zurückkam und ihm
erklärte, was sie mit einem anderen Mann im Hotelzimmer gemacht, warum sie ihn belogen hatte und woher der Kerl gewusst hatte, dass er mit ihr über die Fotos gesprochen hatte.
So was in der Art. Die kleinen Dinge des Lebens.
Er deutete auf sein Glas. Mel, der nicht viel redete und auch keine guten Ratschläge gab, schenkte nach.
»Du bist ein guter Mensch, Mel.«
»Hey, danke, Matt. Das sagt man mir oft, aber ich hör es doch immer wieder gern.«
Matt lächelte und betrachtete sein Glas. Nur eine Nacht. Lass es einfach laufen.
Ein großer ungelenker Mann kam von der Toilette zurück. Im Vorbeigehen streifte er Matt unabsichtlich. Matt schrak kurz hoch und sah den Mann dann finster an. »Pass auf!«, sagte er dann.
Der Mann grunzte eine Entschuldigung und entschärfte so die Situation. Matt war ein bisschen enttäuscht. Man hätte ihn für klüger halten sollen – gerade Matt wusste besser als viele andere, welche Gefahren eine Schlägerei barg –, aber heute war ihm das egal. Ja, heute käme ihm eine Schlägerei wirklich sehr gelegen.
Scheiß auf die Folgen.
Er versuchte, den Geist von Stephen McGrath zu entdecken. Meist saß er auf dem Hocker neben ihm. Aber heute war er nicht zu finden. Gut so.
Matt vertrug nicht viel. Das wusste er. Der Schnaps warf ihn um. Er war schon mehr als beschwipst und näherte sich allmählich ernsthafter Trunkenheit. Der Trick bestand natürlich darin, im richtigen Moment aufzuhören – die Hochstimmung zu wahren, ohne am nächsten Morgen dafür leiden zu müssen. Viele Leute versuchten, diese Grenze nicht zu überschreiten. Den meisten gelang es nicht.
Heute Abend interessierte ihn diese Grenze nicht.
»Noch einen.«
Das hörte sich schon etwas verwaschen an. Er bemerkte
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