Kein ganzes Leben lang (German Edition)
und tauchte das Zimmer in ein goldenes Licht. Ihr Blick blieb an dem George-V-Sekretär hängen. Das erste Möbelstück, das sie gemeinsam auf einem Londoner Trödelmarkt erworben hatten. Sie erinnerte sich, wie sie es in ihrer kleinen Wohnung herumgeschoben hatten, um einen geeigneten Platz zu finden.
„Unser erstes gemeinsames Möbelstück“, hatte Anna freudig gesagt. Sie hatte an dem Sekretär gelehnt, der mitten im Wohnzimmer stand.
„Der Anfang vom Ende“, hatte Christiano erwidert und sie verliebt angesehen. „Wir sollten das feiern.“ Er war in der Küche verschwunden und hatte eine Flasche Champagner geöffnet.
„Was sollten wir feiern, das Möbelstück oder den Anfang vom Ende?“, hatte sie gefragt und geschmunzelt.
Er hatte ihr das Glas aus der Hand genommen und auf dem Sekretär abgestellt.
„Den Anfang vom Ende“, hatte Christiano gemurmelt und sie geküsst. Einen Platz für den Sekretär hatten sie später gesucht.
Anna schüttelte den Kopf. Mein Gott, waren sie verliebt gewesen. Was war aus ihrer Liebe geworden? Sie sah vor ihrem geistigen Auge das Küchenmesser blitzen. Wie war aus unzerstörbar zerbrechlich geworden?
Christiano trat in den Aufzug. Die Akten zu seinem neuen Mandat stapelten sich auf seinem Schreibtisch, sein Posteingang platzte, aber er konnte das Gespräch mit Anna nicht verschieben. Er sehnte sich danach, wieder bei seiner Familie zu sein. Anna gab ihm Wärme, ein friedliches Zuhause, in das er sich von dem Trubel seines Berufslebens zurückziehen konnte. Mit ihr machte er Liebe, mit Lucrezia hatte er Sex. Was war dagegen einzuwenden? Bevor die Aufzugstüren sich schließen konnten, stoppten sie und öffneten sich wieder. Lucrezia trat hinein. Der kleine Raum war sofort von Jasmin und Honig erfüllt.
„Nimmst du mich mit?“
„Wenn man an den Teufel denkt.“
Christiano drückte auf „Tiefgarage“.
„Du hast an mich gedacht?“ Sie schlang die Arme um seinen Hals. Er schob sie weg.
„Ich habe keine Zeit, ich muss weg. Anna wartet auf mich.“
Lucrezia verzog keine Miene. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Wann trifft du sie?“
Er schaute auf die Uhr. „Gegen acht.“
Sie strich ihm über die Haare.
„Dann haben wir noch ein wenig Zeit.“
Sie drückte die Haltetaste des Aufzugs, der mit einem Ruck zum Stehen kam. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Ihre großen dunklen Augen waren unergründlich.
„Wir sollten uns nicht streiten. Das ist verschwendete Zeit“, flüsterte sie in sein Ohr.
Ihre Sinnlichkeit war betäubend.
„Lucrezia, dies ist kein guter Augenblick“, wandte er schwach ein.
Sie begann ihre Bluse aufzuknöpfen. Die Aussicht, seine Sorgen für einen Moment zu vergessen, war verlockend. Die Hemmschwelle gering. Was für einen Unterschied machte dieses eine Mal? Wenn sie nun schon mal hier feststeckten.
Anna stand vor dem Spiegel und probierte ein Kleid nach dem anderen an.
Helene saß auf dem Bett und knuddelte Laura.
„Ich muss zufällig gut aussehen.“ Anna sah sie an. Sie trug ein beigefarbenes Wickelkleid.
„Würdest du dieses Kleid zum Stillen anziehen?“
Anna warf einen Blick in den Spiegel und schüttelte dann den Kopf. Schließlich entschied sie sich für Jeans und eine blassrosa Bluse. Sie schminkte sich dezent und steckte die Haare hoch. Prüfend betrachtete Anna sich im Spiegel. Ihre weißblonden Haare waren stumpf, ihre ansonsten rosige Porzellanhaut blass, die dunkelblauen Augen trüb. Erschöpfung und Sorge standen ihr ins Gesicht geschrieben.
Anna seufzte. Sie drehte sich um die eigene Achse.
„Findest du mich langweilig?“ Sie sah Helene an.
„Nun, ein bisschen Pep könnte nicht schaden. Immer diese Pastellfarben.“
„Ich bin nun mal kein Papagei.“
„Du hast mich gefragt.“
Vielleicht hatte Helene recht und sie sollte ihre Garderobe etwas aufstocken, dachte Anna.
Das helle Klingeln der Türschelle ließ Anna zusammenfahren. Ihr Herz klopfte. Sie nahm Laura aus der Wippe und drückte sie an sich. Helene hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen.
Laura gluckste beglückt und spuckte ihr auf die Bluse.
„Mist“, entfuhr es Anna. Sie eilte in die Küche und versuchte, mit einer Hand Laura festzuhalten und mit der anderen den Fleck auszuwaschen. Laura wurde unruhig. Sie gab auf. Im Flur warf sie einen letzten Blick in den Spiegel. Ein paar Haarsträhnen hatten sich gelöst. Sie strich sie aus dem Gesicht, nur damit sie ihr sofort wieder in die Augen fielen. Ihr
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