Kein ganzes Leben lang (German Edition)
gut. Ich bin nämlich am Ende meines Lateins.“
Nur unwillig öffnete Anna ihre bleischweren Augen. Etwas verschwommen sah sie Helene in einem giftgrünen Kleid, ein buntes Stirnband hielt ihre roten Haare aus dem Gesicht, neben ihr stand Lucrezia. Sie trug ein schwarzes Kostüm. Anna schloss wieder die Augen und zog sich die Decke über den Kopf.
„Das reicht jetzt“, Lucrezia zog Anna energisch die Decke weg.
„Geht weg“, jammerte Anna. Sie war wach. Die Wirklichkeit holte sie ein. Der Schmerz setzte zum Angriff an. Bevor er sie treffen konnte, nahm Lucrezia sie in den Arm. Sie roch das betörende Parfum, Honig und Jasmin. Groteskerweise fiel ihr ein, dass sie schon immer nach der Marke fragen wollte. Der Duft verführte den Schmerz. Sie war geborgen in Lucrezias Armen. Anna öffnete die Augen. Helene verließ das Schlafzimmer und kam kurz darauf mit Laura zurück. Sie legte sie in Annas Bett. Anna betrachtete ihr Baby, das neben ihr strampelte. Sie machte sich von Lucrezia los und nahm Laura in den Arm. Der süße Babygeruch stieg ihr in die Nase.
„Ich kann dich nicht mehr stillen“, flüsterte sie kaum hörbar.
Lucrezia umarmte sie alle drei. Der Schmerz löste sich in Tränen auf.
„Sie hat den Wechsel ganz gut geschafft. Sie beschwert sich noch immer, wenn ich mit dem Fläschchen komme, nimmt es aber schließlich“, erklärte Helene.
Annas Antwort ging in Tränen unter.
Helene verließ das Schlafzimmer und kam kurz darauf mit einer Tasse Kaffee wieder. Lucrezia reichte Anna den Kaffee. Sie strich ihr die weißblonden Haare aus dem Gesicht, während Anna trank. Die nordischen Farben faszinierten Lucrezia, Annas Porzellanhaut, ihr helles Haar, ihre stahlblauen Augen, ihre weichen Gesichtszüge. Sie wirkte kühl, doch wenn sie sprach, war Wärme in ihrer Stimme. Wie eine Elfe aus einem Märchenbuch, hatte Lucrezia gedacht, als sie sich kennengelernt hatten. Sie war sich sicher gewesen. Eine Frau wie diese würde Christiano nicht betrügen. Sie hatte sich getäuscht.
„Es wird alles wieder gut. Du hast sie vier Monate gestillt. Das ist schon reichlich“, redete Lucrezia jetzt beruhigend auf Anna ein, „denk jetzt an dich.“ Sie wusste nicht, woher sie die Worte nahm. Genau diese Art von Situationen verabscheute sie, insbesondere, weil sie ahnte, dass sie an der Situation nicht ganz unschuldig war.
Helene nahm Laura auf den Arm. „Ich lass euch mal allein.“
Die Schlafzimmertür schloss sich. Anna starrte an die stuckverzierte Decke.
„Ich bin gestern mit dem Messer auf Christiano losgegangen“, erklärte Anna unvermittelt. Sie sah Lucrezia an.
Ungläubig lauschte Lucrezia Annas Worten.
„Wie bitte?“
„Wir wollten uns aussprechen. Es ist aber eskaliert.“
Widerwillig musste Lucrezia lachen.
„Das geschieht ihm recht.“
„Finde ich auch.“ Anna stimmte in ihr Lachen ein.
„Du hättest sein Gesicht sehen sollen.“
„Wie hat es sich angefühlt?“, wollte Lucrezia wissen.
„Gut, es hat mir Genugtuung gegeben.“ Anna nippte an ihrer Kaffeetasse.
Lucrezia ließ sich in die Kissen fallen. Ihre schwarzen Haare ergossen sich über die weißen Laken. Das hätte sie Anna nicht zugetraut.
„Wie Schneewittchen, nur mit olivfarbener Haut“, hörte sie Anna sagen.
Lucrezia stützte sich auf ihren Ellbogen ab.
„Wie bitte?“
„Du, mit den pechschwarzen Haaren auf den weißen Laken.“
„Ach so“, Lucrezia Lächeln verunglückte. Das schöne Kompliment löste augenblicklich Gewissensbisse aus.
„Es gerät außer Kontrolle“, sagte Anna leise.
Lucrezia sah sie an. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
„Ich weiß“, erwiderte sie nur und ließ sich wieder in die Kissen fallen.
„Anna, du musst dich beherrschen. Du darfst nicht die Kontrolle verlieren. Denk an dein Kind.“ Helene schaute sie durchdringend an. Anna lag auf der Couch in eine Decke eingerollt.
„Ach, und als du Heiner umbrachtest, hast du nicht die Kontrolle verloren?“, gab Anna hitzig zurück.
„Nein, ich habe nie einen kühleren Kopf gehabt. Deshalb bin ich auch davongekommen.“ „Bist du das?“ Anna richtete sich auf.
Helene zögerte.
„Wirklich kommt man nie davon.“
Anna beließ es bei der Antwort und stupste Lauras Wippe an. Laura quiekte vor Vergnügen. Sie war immer noch schwach auf den Beinen. Aber Helene hatte sie aus dem Bett gescheucht.
„Erst hat Christiano gedacht, ein lustiger Auftritt würde reichen. Als das nicht zog, hat er angefangen zu pokern“,
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