Kein ganzes Leben lang (German Edition)
fünfzig, trug seine grauen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Dass seine Frau neben ihm stand, hinderte ihn nicht daran, zu flirten.
„Die Focaccia mit Rosmarin ist frisch. Dazu ein wenig Parmaschinken und ein Glas Prosecco. Danach könnte ich für dich kochen, Schönheit. Eine köstliche Pasta. Was sagst du?“
Seine Frau reagierte noch nicht einmal. Lucrezia seufzte.
„Nein, danke. Ich habe keinen Appetit mehr.“
Die Bäckerin drehte sich um. Triumphierend sah sie ihren ratlosen Mann an.
„Na, das hast du ja toll hinbekommen“, schnauzte sie.
Lucrezia konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Keine Sorge, Signora, der unwiderstehliche Charme Ihres Mannes hat mir nicht den Appetit verdorben. Ich hab heute einfach keinen guten Tag. Auf Wiedersehen.“ Sie wandte sich ab.
„Siehst du, alte Hexe!“, hörte sie den unverbesserlichen Bäcker im Rausgehen sagen.
Am frühen Abend waren die Navigli belebt. Hauptsächlich junge Leute füllten die Uferwege auf der Suche nach einem freien Tisch und einem vergnügsamen Abend. Lucrezia lehnte sich an die Uferbalustrade und beobachtete das bunte Treiben. Eine Gruppe junger Mädchen kicherte, als zwei Männer ihnen die freien Plätze an ihrem Tisch anboten. Lucrezia stach ein Pärchen ins Auge. Beide waren mindestens Mitte siebzig. Sie trug ihre Haare hochgesteckt, schwere goldene Armreifen schmückten ihr Handgelenk. Ein grünes Kleid schmeichelte ihrer schmalen Figur. Der Mann trug einen beigefarbenen Leinenanzug. Er griff sanft nach ihrem Arm und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte und küsste ihn.
Wegbegleiter durch das Leben, dachte Lucrezia. Mit einem Male fühlte sie sich einsam. Jetzt wurde sie auch noch sentimental. Warum hatte dieser Idiot das Foto mit sich herumtragen müssen? Vorher war alles so einfach gewesen. Jetzt war es kompliziert. Das verdarb ihr den Spaß. Aber warum hatte sie ihm auch dieses Foto gegeben? Sie kannte die Antwort. Es hatte ihr nicht gereicht, im Mittelpunkt zu stehen, wenn sie sich sahen. Sie wollte auch in seinen Gedanken sein, wenn sie sich nicht sahen. In seinen erotischen Fantasien, ergänzte sie in
Gedanken. Etwas störte sie. Es war nicht flüssig. Als ob ein Ast im Fluss lag und die Strömung aufhielt. Doch sie bekam den Ast nicht zu fassen. Sie stützte sich mit den Armen auf der Mauer ab und blickte auf den Kanal. Ihr kam der Tag der Geburt von Laura in den Sinn. Aschfahl war Christiano geworden, als er an jenem Nachmittag seine Mailbox abgehört hatte. Das Telefon war ihm aus der Hand gefallen und auf dem Boden in seine Einzelteile zersprungen.
Sie war erschrocken, hatte gedacht, dass Anna herausgefunden hatte, mit wem er seine Schäferstündchen verbrachte. Für einen Moment war sie erleichtert gewesen, als er ihr erklärte, was passiert war. Doch dann war da nur Entsetzen gewesen. Das hätte nicht passieren dürfen. Es sollte leicht sein wie der Wind, so etwas war da nicht vorgesehen.
Sie hatte Christiano einen Whisky eingeschenkt und ihm geholfen, sich anzuziehen. Er war hektisch gewesen, stolperte über ein Stuhlbein und schlug sich den Musikknochen am Türrahmen an. Als er zur Zimmertür herauseilte, steckte er mit nackten Füßen in seinen Schuhen. Sie hatte seine Socken zusammengeknotet und in die Ecke gepfeffert. Dann hatte sie sich einen doppelten Whisky eingeschenkt und heruntergeschüttet.
Als sie Anna später im Krankenhaus besuchte, war ihr schlecht gewesen. Sie war Annas Freundin und Christianos Geliebte, zwei Rollen, die sie bisher fein säuberlich getrennt hatte. Lucrezia setzte ihren Weg fort. Vor der Auslage eines Geschäftes blieb sie stehen. Eine schwarze Krokohandtasche stach ihr ins Auge. Sie betrat den Laden und ließ sich die Handtasche zeigen. Die Verkäuferin war eine Farbige. Ihre kurz geschnittenen Korkenzieherlocken standen ihr frech vom Kopf ab. Sie zwinkerte Lucrezia freundlich zu. „Aus den Zwanzigern. Echtes Kroko. In dem guten Zustand sehr selten zu finden.“
Lucrezia wusste, dass die Verkäuferin recht hatte. Sie liebte Vintage jeder Art und hatte selten eine so gut erhaltene Handtasche aus der Zeit gesehen.
„Die nehme ich“, entschied sie sich spontan. Dennoch verbesserte sich ihre Laune nicht.
Als sie etwas später vor ihrem Haus angekommen war, suchte sie nach dem Schlüssel in der Tasche. Jetzt hätte sie gerne eine Freundin angerufen. Aber sie hatte nicht viele, um genau zu sein, nur eine: Anna. In den letzten zwei Jahren hatte sie sich völlig auf
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