Kein Job fuer schwache Nerven
nüchtern:
» Ich bin seine Mutter.«
Der Täter war ihr Sohn.
Das Ehepaar hatte vier Kinder. Die Nachbarn hatten die Kinder aufgenommen, damit sie einerseits nicht wegziehen, aber andererseits auch nicht unnötig das Tat-Haus betreten mussten. Seit einem Vierteljahr kümmerten sich diese Nachbarn inzwischen um die Kinder, was ich beeindruckend fand. Die sagten zwar, das sei selbstverständlich, aber das ist es nicht und kann es auch nicht sein. Zumal ja auch noch die Oma, die Mutter des Täters, aus Frankfurt dazugekommen war. So, erfuhr ich, sollte die Zukunft aussehen: Die Kinder sollten bald zu der Oma nach Frankfurt ziehen. Sie wurden durch eine psychologische Betreuung auf das Leben miteinander vorbereitet, denn plötzlich eine Großfamilie zu gründen, ist nie einfach, schon gar nicht unter solchen Bedingungen. Und dass die Nachbarn das alles in ihrem Haus mit begleiteten, das geht, finde ich, deutlich über das hinaus, was man normalerweise als » selbstverständlich« bezeichnet.
Von den Eheproblemen habe sie gewusst, sagte die Mutter des Täters, ihr Sohn hatte sie auch noch kurz vor der Tat angerufen. Aber natürlich war sie nie davon ausgegangen, dass ein Mord in der Luft lag. Er war kein Gewalttäter, er war vorher nie aufgefallen, ein ganz normaler Mann mit einer ganz normalen Ehe in einem ganz normalen Haus, vier Kinder, im Zeitraum von acht Jahren das musste offenkundig ein Mann gewesen sein, mit dem es die 35 Jahre alte Frau lange Zeit mindestens gut hatte aushalten können. Wahrscheinlich war sie sogar mit ihm glücklich gewesen – früher. Und was immer sie ihm an jenem Abend sagen wollte, sie ging nicht davon aus, dass er deswegen ausrasten würde. Das sah man an der Unmenge von Fliegen.
Sie kamen aus dem Wohnzimmer, und es waren nicht die üblichen Schmeißfliegen, die wir sonst von Leichenfundorten kennen. Es waren diese kleinen Fruchtfliegen, und sie kamen daher, dass der Esstisch im Wohnzimmer noch immer fürs Abendbrot gedeckt war. Die Teller auf einem Stapel, Butter, Wurst, Gemüse, Obst, Käse, gedeckt für drei Personen, weil drei der Kinder an jenem frühen Abend außer Haus waren. Der Tisch war das Erste, was mir als merkwürdig auffiel.
Das war keine dieser verwahrlosten Messie-Wohnungen. Das war auch kein verbluteter Alkoholiker mit irgendwelchen völlig heruntergekommenen Möbeln. Das war eine ganz normale Familie, die zu Abend aß, genau so, wie ich selber zu Hause mit meiner Familie zu Abend esse.
Was immer sie ihm gesagt hatte, sie hatte es ihm nebenan in der Küche gesagt. Vermutlich beim Tischdecken. Die Küche hatte zwei Schrankzeilen an den Längsseiten, an der Schmalseite dazwischen war das Fenster. Da stand sie, vielleicht wollte sie noch etwas aus dem Kühlschrank holen. Er hatte wohl weiter vorne gestanden, an der anderen Schmalseite, ziemlich genau zwischen der Tür, die zum Flur führte, und der Tür, die zum Wohnzimmer ging. Und dem Messerblock.
Ab dem Moment, an dem er das Messer aus dem Block riss, hatte sie keine Chance mehr. Er stand perfekt zwischen ihr und allen Türen, er hätte sich das Ganze auch mit einem halben Jahr Planungszeit nicht besser ausdenken können. Aber ich glaube nicht, dass er es geplant hatte. Sie hatte vermutlich gesagt, dass es aus war oder endgültig aus war, und dann war er wohl ausgerastet.
Er hatte ihr das Messer in die Brust gerammt, aber keine Schlagader erwischt, das Blut war größtenteils auf dem Boden gelandet, und nicht mal viel davon – sie war wohl innerlich verblutet. Die Blutspritzer, die überall waren, stammten vom schwungvollen Herausreißen der Klinge, bevor er das nächste Mal zugestochen hatte. Neben den Blutspritzern hafteten immer wieder die zollstockartig schwarz-weiß gefärbten Polizeiaufkleber, mit denen die Spurensicherung auf den Fotos die Größenverhältnisse deutlich macht.
Irgendwann kurz darauf muss er wieder zur Besinnung gekommen sein. Er selbst rief die Polizei, forderte einen Einsatzwagen an, weil er seine Frau umgebracht hatte. Da lebte sie noch, nur schwach, aber immerhin. Einer der Polizisten versuchte sogar, sie zu reanimieren, aber erfolglos. Und trotzdem war insgesamt eher wenig Blut zu sehen.
Nicht, dass das wenig Arbeit machen würde. Man stellt immer wieder fest, dass Blut sich einfach gut verteilt. In Küchen zum Beispiel beobachte ich häufig, dass es unweigerlich seinen Weg in die Schubladen findet. Das glaubt man nicht, wenn man’s nicht selbst gesehen hat, die Schubladen sind
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