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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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öffnet. Einem ist jedoch nicht egal, ob Arterie oder Vene geöffnet wurde: dem Tatortreiniger. Denn die Vene macht normalerweise weniger Arbeit.
    Ein rücksichtsvoller Selbstmörder könnte sich zum Beispiel in einen Sessel setzen und die Arme baumeln lassen, dann hätte man halt am Boden zwei Blutlachen. Besonders rücksichtsvolle Selbstmörder könnten sich auch zwei Eimerchen mitbringen und dort die Arme reinbaumeln lassen. Unser Kandidat gehörte allerdings nicht dazu.
    Zunächst mal hatte er die Venen nicht besonders weit geöffnet. Das bedeutet, er hatte allerhand Zeit, zuzusehen, wie das Blut aus seinen Handgelenken rann. Es war Blut auf dem Waschtisch im Bad, am Badewannenrand, am Waschbecken, überall, aber nicht so viel wie am Boden des ganzen Zimmers und des Flurs. Woraus man schließen muss, dass der Herr dann aufgestanden und zum Bett gegangen sein muss.
    So sah auch der kurze Flur aus: links Blutstropfen, rechts Blutstropfen, dazwischen der Holzboden. Und wir reden nicht von ein paar Tropfen hier, ein paar Tropfen da, als wäre man mit einer Haushaltskerze herummarschiert, wir reden hier vom Modell » Tropfkerze « . Der Mann war unablässig auf und ab gewandert, hatte die Hände links und rechts baumeln lassen, tropf, tropf, tropf.
    Er muss ein wenig unentschieden gewesen sein, was er dann tun sollte. Er hatte vor dem Wasserkocher gestanden und überlegt, ob er sich einen Tee kochen sollte oder einen Kaffee. Vielleicht war ihm auch nach einem Würfelzucker. Jedenfalls muss er zum Wasserkocher gegriffen haben, es waren nämlich einige dicke fette Blutkleckse auf den Kaffeebechern. Dann hatte er die Hand wieder heruntergenommen, die beiden Kaffeebecher daneben blieben umgekehrt stehen, und er nahm seine Kleckspatrouille wieder auf. Tropftropftropf links, tropftropftropf rechts, immer munter auf das dunkle Parkett. Weg von dem Schreibtischchen, auf dem sich der Wasserkocher befand und auf dem noch die Hotelunterlagen und der Hotelnotizblock lagen, wieder den Flur entlang und wieder zurück. Nur eines blieb fast genauso sauber wie die Minibar: der Zinkpapierkorb direkt vor dem Schreibtisch. Wie er den unbekleckst lassen konnte, ist mir heute noch ein Rätsel.
    Irgendwann ging er dann ins Bett. Natürlich, denn ab einem Verlust von zwei bis drei Litern Blut macht auch der Kreislauf nicht mehr mit, und man wird müde. Wenn er das allerdings gleich gemacht hätte, hätten wir weniger Arbeit gehabt. Man kann davon ausgehen, dass er sich bedauert hat, betrübt war und in Erwartung seines Todes einschlief. Aber man stirbt gar nicht so leicht, wie man glaubt.
    Irgendwann in den frühen Morgenstunden wachte er auf und stellte erstaunt fest, dass es im Himmel offenbar aussah wie in einem blutigen Hotelzimmer. Dann dämmerte ihm allmählich, dass er wohl doch nicht tot war. Die Blutung schien nachgelassen zu haben, und um den Selbstmord jetzt fortzusetzen, hätte er noch mal mit der Säbelei anfangen müssen. Aber morgens sieht die Welt immer ein bisschen besser aus als nachts, und irgendwie musste er sich auch eingestehen, dass ihm eigentlich gar nicht mehr so recht nach Selbstmord war. So richtig gut fühlte er sich aber auch nicht, was daran lag, dass sich von seinen sieben Litern Blut etwa zweieinhalb auf dem Flur befanden, ein weiterer Liter im Bett und zwei oder drei Schnapsgläser voll an den dümmstmöglichen Stellen der Zimmerdecke und Wände. Ihm war mulmig, ihm war ein wenig schlecht, und er griff zum Telefon. Der Hörer war blutverschmiert, dazu die Tasten mit der » 1« und der » 2«. Bevor sich der Notruf meldete, legte er auf. So lebensbedrohlich, fand er, war die Sache ja eigentlich nicht, denn sonst wäre er schließlich schon tot. Er wickelte sich Handtücher um die Armbeuge, zog sich wieder an, ging zur Rezeption, checkte aus und ließ sich ein Taxi rufen. Und damit fuhr er dann ins Krankenhaus.
    Es hätte einen auch nicht überrascht, wenn er stattdessen ins Büro gefahren wäre. Es war ja praktisch nichts Erwähnenswertes passiert, außer einer unplanmäßigen Blutspende an die Münchner Hotellerie, nicht wahr?
    Wir nahmen den Auftrag natürlich an. Und machten uns nach einer gründlichen Desinfektion ans Putzen. Das tadellos geflieste Bad war noch das kleinste Problem. Obwohl man sich das nicht zu leicht vorstellen soll: Blut wischt man nicht auf wie Milch. Da ist man mit einer Fläche fertig und entdeckt einen Blutfleck, den man übersehen hat, wischt einmal drüber – und sofort hat man

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