Kein Job fuer schwache Nerven
gleich: Mit dem 50/50-Joker wird man hier nicht weit kommen, der Telefonjoker nützt nur, wenn man unter seinen Experten einen Junkie hat. Und beim Publikumsjoker – also da wäre ich wirklich neugierig, ob die Mehrheit weiß, dass es sich um b handelt, den Felgenreiniger. Mir jedenfalls war’s neu, und gelernt habe ich es durch eine furchtbar heruntergekommene Wohnung.
Eine 31-jährige Frau rief uns an. Sie stand hörbar unter Schock und wollte wissen, ob wir ihre Wohnung reinigen könnten. Ihr Lebensgefährte hätte einen Unfall gehabt. Ich fragte nach, worum es sich denn bei dem Schmutz in der Wohnung handeln würde. Nicht, dass ich’s uns nicht zugetraut hätte, aber man möchte ja wissen, was auf einen zukommt. » Blut « , sagte sie, » im Wesentlichen. « Ich sagte ihr, dass wir so was schon könnten, und dann fuhr ich los, um mir die Wohnung zu betrachten. Als ich vor Ort war, wurde mir einiges klarer. Das musste die Wohnung sein, in die ich am Tag zuvor erst selber den Notarzt dirigiert hatte.
Ich hatte gerade in der Rettungsleitstelle gesessen, als ihr Anruf hereinkam. Von daher wusste ich, dass die junge Frau drei Tage weg gewesen war, bei ihren Eltern, übers Wochenende. Sie hatte festgestellt, dass ihr Lebensgefährte, ein etwa gleichaltriger Computerspiele-Händler, nicht mehr ans Telefon ging. Normalerweise holt man deswegen nicht gleich die Feuerwehr, aber sie ahnte größeres Unheil, denn sie wusste inzwischen, dass er drogenabhängig war.
Sie hatte es erst nach zwei Jahren gemerkt. Ihr war anfangs nur aufgefallen, dass er immer ganz merkwürdige Unfälle hatte. Er hatte sich ständig den Kopf angeschlagen oder sich blaue Flecken geholt, weil er andauernd irgendwo dagegenrannte oder ungeschickt auftrat. Er wollte zum Beispiel die Wohnung verlassen und hatte sich beim ersten Schritt vor die Tür das Bein gebrochen. Wie er das technisch hinbekommen hatte, hatte sie einfach nicht begriffen, also war sie davon ausgegangen, er sei eben ein ganz besonderer Tollpatsch. Seltsam war ihr nur vorgekommen, dass er sie, als er im Krankenhaus lag, bat, ob sie ihm nicht von zu Hause seine Tropfen mitbringen könnte.
Welche Tropfen?
Von zu Hause? In ein Krankenhaus, das ohnehin bis unters Dach voller Medikamente ist?
Sie hatte dann tatsächlich die Tropfen mitgebracht, aber nicht ihm, sondern seinem Arzt. Der sah sich den Fläschcheninhalt an, untersuchte ihn und stellte fest: Gamma-Butyrolacton. Eine Modedroge, die man gemeinhin als » Liquid Ecstasy« kennt. Und wie sie ihren Arzt fassungslos fragt, was das für ein Zeug sei, wo man das herbekomme, ob man dazu in irgendwelche Dealergeschäfte verwickelt sein müsse oder sich irgendwelche chemischen Labors einrichtet, hat er ihr verraten, dass man dieses Zeug in jedem Super- oder Baumarkt bekommt, und zwar als Felgenreiniger. Man muss das Mittel auch nicht irgendwie aufkochen, zubereiten, veredeln – Felgenreiniger bestehen offenbar fast ausschließlich daraus, weil dieses Gamma-Butyrolacton ein ausgezeichnetes und kaum zu ersetzendes Lösungsmittel ist, weshalb es auch nicht verboten wird. Es ist in Nagellackentferner, es dient als Weichmacher, und in der Zusammensetzung des Felgenreinigers scheinen einige Leute es jedenfalls als ideal für Drogenräusche zu halten – obwohl für mich gerade diese Leute eigentlich keinen Weichmacher mehr brauchen.
Jedenfalls nicht für ihre Birne.
Mit dieser Enthüllung war die Variante mit dem tollpatschigen Pechvogel natürlich vom Tisch. Denn » Liquid Ecstasy« hat eine Menge Wirkungen, und eine davon ist die eines Muskelrelaxans, eines Muskelentspanners. Man tritt auf, und da, wo man sein Bein vermutet, ist plötzlich nichts mehr, das Bein sackt unter einem weg wie nichts, und den Sturz abfangen kann man dann auch nicht mehr, weil ja die Muskeln nicht mehr arbeiten, sondern nur noch supermatschig sind. Wenigstens, wenn man zu viel von dem Zeug nimmt, und das tut man, wenn man abhängig geworden ist, weil die Anfangsdosis längst nicht mehr reicht.
Er hatte ihr natürlich versprochen, damit aufzuhören – das war inzwischen auch wieder ein Jahr her. Aber meiner Beobachtung nach ist es mit Abhängigen stets so, dass sie – wenn sie nicht mit einer unglaublichen Disziplin dran arbeiten – immer wieder rückfällig werden. Und das wird nicht weniger wahrscheinlich, wenn’s ihre Droge an jeder Tankstelle gibt. In diesem Fall war die junge Frau eben drei Tage nicht zu Hause gewesen, und er hatte sich gedacht: »
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