Kein Kerl zum Verlieben
dein Chef scheint ein netter Typ zu sein und seine Tochter muss ein aufgeweckter Fratz sein. Und deinen Nachbarn hast du nun auch kennengelernt. Ich hoffe, er überwindet seine Trauer. So ein Schicksalsschlag ist echt hart und kann das ganze weitere Leben verändern. Aber deshalb bist du doch nicht schlecht drauf. Was ist denn nun passiert?“
„Mein lieber Herr Assistent war sauer, dass ich ihn habe abblitzen lassen und nicht mit ihm zum Lichterfest gegangen bin. Also hat er herumerzählt, ich hätte den Chef privat getroffen, um auf der Kariereleiter höher zu klettern. Und die Kolleginnen glauben das auch noch, tragen den Tratsch weiter und schneiden mich jetzt. Sie lästern über mich und gucken, als hätte ich mit dem Chef geschlafen. Das hat mich heute sauer gemacht.“
„Dein Assistent hat da ein böses Gerücht in die Welt gesetzt. So etwas kann das Ansehen und den Ruf ganz schön schädigen, Süße, und zwar auf Dauer. Du musst aufpassen, in Ordnung? Halte dich bedeckt, unauffällig, gib keinen Anlass zu weiterem Gerede, na, du kennst das doch. Ich hoffe nur, es legt sich wieder und in ein paar Tagen ist alles vergessen.“
„Ja, mache ich. Ich hoffe auch, dass bald ein anderer dran ist, über den Getratscht wird. Wenn mir der Kerl über den Weg läuft, dann ...“
„... dann lässt du ihn ich Ruhe, klar? Ignoriere ihn, sprich aber mit ihm, wenn es die Arbeit betrifft. So nimmst du ihm den Wind aus den Segeln, wenn er weiter gegen dich intrigieren will.“
„Das soll er schön bleiben lassen, sonst lernt er mich kennen!“
„Hey, Süße, beruhige dich, schlaf erstmal eine Nacht darüber. Vielleicht ist morgen alles wieder normal.“
„Ja, ist gut. Und bei dir? Alles okay?“
„Die Arbeit läuft, das Liebesleben schläft und ich vermisse dich. Alles wie immer. Ich soll von meiner Lieblingskollegin Manu grüßen. So, pass auf dich auf, ich kann es ja leider nicht und Kopf hoch. Nun schlaf schön, gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Sie duschte und zappte anschließend durchs TV. Filme konnten sie nicht fesseln, da sie nichts verstand, mehrere Unterhaltungssendungen mit Studiogästen kamen ihr so kitschig vor. Die Leute bewarfen sich mit Schaumstoffbällen, schossen Gummipfeile aufeinander ab oder bewarfen sich mit Torten und die Zuschauer im Publikum lachten sich tot. Ricarda konnte nicht darüber lachen und ihr Vorhaben, der fremden Sprache zuzuhören, um ein Gefühl für sie zu entwickeln und zu lernen, einzelne Wörter herauszuhören, scheiterte an mangelnder Konzentration. Sie schaltete den Fernseher aus und ging ins Bett. Sie lag noch nicht richtig, da begann es zu dröhnen. Harter E-Gitarrensound kreischte durchs Zimmer und die Bässe wummerten wie bei dem BMW eines türkischen Aufreißertypen.
„Das kann doch alles nicht wahr sein! Was für ein Tag.“ Sie stand auf, ging und hämmerte an Olivers Tür. Der Kerl reagierte nicht. War er taub? Kein Wunder bei der lauten Musik. Sie pochte erneut und endlich öffnete sich die Tür einen Spalt. Ein zerknittertes Gesicht mit roten Augen und zerzaustem Haar lugte um den Spalt herum.
„Die Musik ...“, sagte Ricarda scharf. „Du weißt schon ...“
„Lass mich in Ruhe!“ Die Tür schloss sich mit einem Rums und Ricarda stampfte mit dem Fuß auf. Nach ihren Gespräch dachte sie, ein besseres Verhältnis zu Oliver bekommen zu haben. Aber er war weiter der ungehobelte Klotz, verdammt! Er lebte doch nicht allein in diesem Haus. Wenn er traurig war oder Probleme hatte, sollte er mit ihr oder einem anderen Menschen darüber reden und sich nicht bei lauter Musik verkriechen. Außerdem wollte sie schlafen. Wütend trat sie gegen die Tür, doch es tat sich nichts.
„Verdammter Arsch! Ich hoffe die anderen Bewohner rufen die Polizei oder den Wachschutz. Gute Nacht!“
Sie ging zurück in ihre Wohnung und ins Bett. Hier zog sie sich das Kopfkissen über den Kopf und fluchte in Gedanken. Die Hilflosigkeit, nichts ausrichten zu können, machte sie richtig wütend. Das Mitleid und das Verständnis für Olivers Lage wurde davon völlig überschattet und zurückgedrängt. Er konnte doch nicht die anderen Mieter des Hauses terrorisieren. Er war egoistisch wie alle Männer, typisch! Irgendwann schlief sie ein, froh darüber, nicht geheult zu haben.
Sie kümmerte sich am nächsten Tag nur um die Arbeit, erledigte Schreibkram, ergänzte Datenbanken und fügte neue Kunden hinzu. Sie verließ ihr Büro nicht, um nicht die Gesichter der anderen sehen zu
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