Kein Kerl zum Verlieben
anderen nicht und sie half Ricarda, die Angelegenheit gelassener zu sehen. Sie erzählte Ricarda von der thailändischen Menthalität, vieles mit Abstand zu betrachten. Sorgen, Hektik, Ärger, Druck oder Gerede – Gossip – wie sie es nannte, existierten nur am Rande. Hast du kein Geld für einen Fernseher? Dann brauchst du auch keinen. Du denkst, dir geht es schlecht? Anderen geht es noch viel schlechter. Du schaffst einen Termin nicht? Mach einen neuen. Wer sich selber verrückt macht, wurde auch verrückt. Diese Denkweise erschien Ricarda ziemlich ungewöhnlich, doch wenn sie genauer darüber nachdachte, hatte sie auch etwas Gutes. Die Thailänder lebten ruhiger, sorgenfreier. Keiner hetzte sich ab und rannte der Bahn oder dem Bus hinterher, um ihn noch zu erwischen. Wozu auch, es kam immer ein neuer.
Samstag Abend berichtete Ricarda Susi, wie ihre Woche verlaufen war, von Sith, von Naree und kam dann auf die Einladung zu sprechen. Susi freute sich für sie und meinte, dass Oliver sie doch hoffentlich nach dem Kino zum Essen einladen würde.
„Naja, man wird sehen“, sagte Ricky. „Wir sind Nachbarn, die zusammen etwas unternehmen, mehr nicht.“
„Man wird sehen“, wiederholte Susi und grinste vielsagend.
Oliver klingelte pünktlich, um sie abzuholen. Er trug eine helle Hose und ein dunkelbraunes Hemd, das gut zu seinem blonden Haar kontrastierte. Er schien ausgeschlafen zu sein, die Falten im Gesicht waren verschwunden. Er begrüßte Ricarda mit einem Lächeln und von Trauer ließ sich keine Spur erkennen. Ricarda freute sich darüber und lächelte zurück. Sie hatte sich am Tag zuvor einen Hosenrock von Princess of Asia gekauft, zu dem sie eine helle Manon Baptiste Wickelbluse mit Bindegürtel und glitzernden Strasssteinen angezogen hatte. Sie hoffte, damit um diese Uhrzeit nicht overdressed zu erscheinen.
Oliver gefiel es ganz offensichtlich, ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf und er musste sich räuspern, ehe er hervorbrachte: „Wir fahren zum Major Cineplex, das ist ein Center mit Kino in Ekamai, nur ein paar Stationen mit dem Skytrain entfernt. Die Vorstellung beginnt um Drei. Zuerst kommt der Werbeblock mit meinem Spot, dann der Film. Gezeigt wird ein Liebesfilm im amerikanischen Original, mit thailändischen Untertiteln. Den müssen wir uns nicht unbedingt ansehen.“
„Ist gut. Wir werden sehen. Nun führe mich, mein Herr“, sagte Ricarda übertrieben theatralisch. Sie fühlte sich gut und verdrängte die Stimme ihres Unterbewusstseins, die ihr weismachen wollte, dass der Mann neben ihr viel zu schön für sie sei. Du wirst ihn nie halten können, nie ganz an dich binden können, sagte die Stimme. Er wird weiterfliegen zur nächsten Blüte, wie eine Biene. ‚Halt die Klappe!‘ dachte Ricky und bekam dadurch nicht mit, was Oliver zu ihr sagte.
„Was hast du gesagt? Ich war gerade in Gedanken versunken, entschuldige.“
„Was macht eine schöne Frau wie du allein hier in Bangkok?“, wiederholte er.
„Du findest mich schön?“
„Jeder findet dich schön. Aber das beantwortet nicht meine Frage.“
„Ich glaube nicht, dass jeder ... Aber okay, lassen wir das. Ich arbeite hier, in Bangkok. Als hier in der Niederlassung meiner Versicherungsgesellschaft eine Stelle frei wurde, bewarb ich mich und bekam den Job.“
„Aber warum? Wolltest du weg aus Deutschland?“
„Hm, gute Frage. Ich wollte nicht unbedingt weg aus Deutschland, aber weg aus meinem Umfeld, weg aus Berlin.“
Sie erreichten den Bahnhof. „Warte, ich hole uns zwei Fahrkarten“, sagte Oliver und zog seine Brieftasche hervor.
„Für mich nicht“, Ricarda zeigte ihm ihre Rabbit Card, die sie nur beim Passieren des Durchganges über eine Scanfläche halten musste. Die Karte wurde registriert und wenn sie sie am Ankunftsbahnhof wieder über einen Scanner hielt, wurde der Fahrpreis vom Kartenguthaben automatisch abgezogen.
In der Bahn war es nicht voll und Oliver nahm das Gespräch wieder auf. „Und warum wolltest du weg? Wenn ich zu viel frage oder zu privat werde, dann sag es, aber mich interessiert alles über dich.“
„Hm, ich war schon längere Zeit mit meinem Leben unzufrieden. Mit meinem Freund kam ich nicht weiter, ich wollte eine Familie und Kinder und er nicht. Ich glaube, ohne tiefgreifende Veränderung hätte ich nicht den Mut aufgebracht, mich von ihm zu trennen, sondern hätte den Trott mit ihm noch jahrelang so weitergemacht. Doch dann kam die Ausschreibung für die neue Stelle. Ich
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