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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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setz dich.« Dann drehte sie sich zur Seite und strahlte glückselig in Richtung ihrer Achselhöhle.
    Da lag sie. Karlotta. Wobei ich anmerken musste, dass ihr Name irgendwie nicht zu ihr passte. Sie war so klein und schrumpelig, mit einer undefinierbaren Gesichtsfarbe – irgendetwas zwischen beige, grau und rot. Und sie sah ihrer Mutter jetzt schon ähnlich: Beide hatten klebrige, am Kopf anliegende, nasse Haare.
    »Oh Gott, bin ich froh!«, sagte ich zu den beiden und meinte es auch so.
    »Ich …« Ilka kullerten Tränen über die Wangen. »Ich bin auch froh, Charly. Guck doch mal, wie süß sie ist. Ich kann es noch gar nicht fassen. Und die hab ich gemacht!«
    Wer in Biologie aufgepasst hatte, wusste, die Rechnung stimmte nicht ganz. Aber das Thema lassen wir hier jetzt mal, dachte ich. Außerdem wollte ich ihr die Illusion in diesem Moment nicht nehmen.
    »Ein echter Senkrechtstarter, hat die Hebamme gesagt. Eine Blitzgeburt. Muss ich aber, ehrlich gesagt, auch so schnell nicht noch mal haben.«
    Jetzt musste ich auch weinen, warum auch immer. Die Kleine hatte irgendwas, dass einem ganz anders wurde – trotz der Tatsache, dass ich bei ihrem Anblick auf alles Mögliche gekommen wäre, nur nicht auf »süß«. Dieser Winzmensch war so … so … so rührend. Mich überkamen Gefühle, von denen ich immer angenommen hatte, dass ich sie nie haben würde.
    Max gegenüber erwähnte ich all das jedoch nicht, als ich ihn schließlich doch noch erreichte. Ihn umzubringen verschob ich aufgrund meiner Gesamtsituation auf einen späteren Zeitpunkt. Stattdessen riet ich dem frischgebackenen Vater nicht selbst zum Krankenhaus zu fahren, da er so aufgeregt war, sondern den Bus zu nehmen oder was auch immer, und verdammt noch mal Blumen zu besorgen, nicht irgendwelche, sondern einen ordentlichen Strauß, sonst bekäme er es mit mir zu tun – wo doch ich schon keine dabeigehabt hatte. Aber das musste er ja nicht wissen.
    Drei Stunden später hielt das Taxi vor meiner Haustür. Waltraud hatte die große Ehre, bei Grusel-Günther zu nächtigen, was er mir inzwischen neben allen möglichen Informationen zu seiner Supersendung auf den Anrufbeantworter gequatscht hatte. Das Zuhörertelefon habe ununterbrochen geklingelt und ach ja, so wundervolle Namen, ganze Listen hätten sie gesammelt.
    Mein Schädel brummte immer noch, und ich war froh, einfach nur ins Bett fallen zu können. Vorher nahm ich zur Sicherheit aber noch drei Aspirin. Wozu waren die Dinger schließlich erfunden worden?
    So eine Geburt war aber auch anstrengend!
    *
    Nachdem ich mich von alldem ein paar Tage später einigermaßen erholt hatte, schwebte ich ein klein wenig auf Wolke sieben. Oder sagen wir mal sechseinhalb. Mir war ja immer klar, dass kleine Babys gefährlich waren und normale, gebildete Menschen in Volltrottel verwandeln konnten. Bisher war ich allerdings davon ausgegangen, dass ich immun dagegen war.
    War ich ja auch – im Grunde. Jedenfalls hatten mich diese 3480 Gramm doch ein klitzekleines bisschen verzaubert. Aber das hielt nicht lange an.
    Ilka selbst war es, die mich schon nach vierzehn Tagen entzauberte. Sie hatte nicht nur den Babyblues, sondern zu allem Überfluss auch eine Brustentzündung. Jetzt lag sie mit Quark- und Kohlblättern umwickelten Brüsten im Bett. Auch nicht schön.
    Ich fragte sie, was ich für sie tun könne, aber sie versicherte, rein gar nichts. Quark und Kohl gab es in ganz Altona nicht mehr. Max hatte jegliche Vorräte der Freien und Hansestadt aufgekauft, ebenso alle Taschentücher.
    »Bitte ruf mich an, wenn ich irgendetwas tun kann. Okay?«
    Ilkas Antwort hörte ich nicht mehr, dafür Karlottas Stimme, die der Meinung war, jetzt mal an der Reihe zu sein. Dann wurde aufgelegt. Oh je.
    Ich war erleichtert, dass meine Brüste nicht brannten und ich Karlotta als Bildschirmschoner genießen konnte. Dabei fiel mir immer wieder auf, dass man der Kleinen nur wünschen konnte, dass ihre Nase nicht so groß werden würde wie die ihres Vaters, sonst bekäme sie später Probleme beim Küssen.
    Aber bis dahin war ja noch Zeit. Meine kleine Nase war schließlich auch kein Garant für problemloses Küssen. Immerhin brauchte man dazu noch etwas anderes: einen Mund. Am besten einen anderen, den eines Gegenübers. Und der fehlte mir nach wie vor.
    Kein Guten-Morgen-Kuss, kein Gute-Nacht-Kuss. Wäre es anatomisch möglich, ganz ehrlich, dann hätte ich ihn mir allein aus lauter Selbstmitleid selbst gegeben.
    Der einzige Mann, der mich

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