Kein Kinderspiel
als eine Woche vergangen - hatten wir uns mit ihm auf einen Drink getroffen. Verbittert hatte er auf den kleinen Plastikquirl heruntergelächelt, mit dem er die Eiswürfel in seinem Gin-Wodka mit Tonic verrührte.
»Cheese meinte also, sie wäre noch am Leben, und euch hat jemand erzählt, Gutierrez hätte für die Drogenbekämpfung gearbeitet.«
Ich nickte. »Und daß sie noch am Leben ist, könnte uns Ray Likanski bestätigen, meinte Cheese.«
Broussards Lächeln wirkte plötzlich verloren. »Wir haben hier und in Pennsylvania gründlich nach Likanski gefahndet. Wenn ihr wollt, laß’ ich weitermachen.« Er zuckte leicht mit den Schultern. »Kann ja nicht schaden.«
»Sie meinen also, Cheese hat gelogen«, sagte Angie.
»Daß Amanda McCready noch lebt?« Er nahm den Plastikquirl aus dem Glas, leckte ihn ab und legte ihn dann auf den Rand der Serviette. »Ja, Miss Gennaro, ich glaube, Cheese hat gelogen.«
»Warum?«
»Weil er ein Gangster war, und die können nicht anders. Er hat genau gewußt, was ihr hören wolltet, und da hat er euch eben erzählt, daß sie noch lebt.«
»Und als Sie ihn kurz vorher besuchten, hat er Ihnen nichts davon erzählt?«
Broussard schüttelte den Kopf und holte eine Schachtel Marlboro aus der Tasche. Er rauchte wieder richtig. »Er schien ehrlich überrascht zu sein, daß es Mullen und Gutierrez erwischt hatte. Ich hab’ ihm gesagt, ich würde ihm das Leben zur Hölle machen, und wenn es das letzte ist, was ich tue. Er hat nur gelacht. Am nächsten Tag war er tot.« Er zündete die Zigarette an. Weil das Streichholz so hell aufflammte, kniff er ein Auge zusammen. »Das schwöre ich euch, am liebsten hätte ich ihn selbst umgebracht. Oder noch besser, ich hätte mir einen von den Knastbrüdern gekauft. Echt. Am liebsten stelle ich mir vor, daß ihn irgend jemand kaltgestellt hat, dem das kleine Mädchen was bedeutet hat, und daß er bei seinem qualvollen Gang hinunter zur Hölle wußte, warum er sterben mußte.«
»Wer hat ihn umgebracht?« fragte Angie.
»Hab’ gehört, die Kollegen sehen sich diesen durchgeknallten Jungen aus Arlington genauer an, der gerade für zweifachen Mord verknackt wurde.«
»Der Junge, der letztes Jahr seine beiden Schwestern umgebracht hat?« fragte Angie.
Broussard nickte. »Peter Popovich. Er hat einen Monat lang gesessen, und angeblich hat er sich mit Cheese beim Hofgang gestritten. Entweder war er es, oder Cheese ist wirklich auf dem Boden ausgerutscht.« Er zuckte mit den Schultern. »Egal, mir ist beides recht.«
»Finden Sie es nicht verdächtig, daß Cheese uns sagt, er wüßte etwas über Amanda McCready, und am nächsten Tag ist er tot?«
Broussard nippte an seinem Glas. »Nein. Hört zu, ich will mal ehrlich sein: Ich weiß nicht, was mit der Kleinen passiert ist, und das liegt mir im Magen. Das macht mir richtig Bauchschmerzen. Aber ich glaube nicht, daß sie noch lebt, und ich glaube auch nicht, daß Cheese Olamon auch nur einmal die Wahrheit gesagt hat, selbst wenn ihm das einen Vorteil verschafft hätte.«
»Was ist mit dem Gerücht, daß Gutierrez für die Rauschgiftbehörde gearbeitet hat?« hakte Angie nach.
Broussard schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Das hätte man uns inzwischen erzählt.«
»Und?« fragte Angie ruhig. »Was ist dann mit Amanda McCready passiert?«
Broussard blickte eine Weile auf den Tisch und streifte die weiße Asche der Zigarette am Rand des Aschenbechers ab. Als er wieder aufsah, glänzten Tränen in seinen geröteten Augen.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte er. »Es tut mir so leid, daß ich es nicht anders gemacht habe. Daß ich nicht das FBI eingeschaltet habe. Es tut mir leid…« Seine Stimme brach. Er senkte den Kopf und verdeckte das rechte Auge mit dem Handrücken. »Es tut mir leid…«
Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Er schluckte und schluchzte einmal laut auf, doch fügte er nichts mehr hinzu.
Im Laufe des Winters nahmen Angie und ich andere Fälle an, doch hatte keiner von ihnen mit vermißten Kindern zu tun. Allerdings gab es auch nicht viele verzweifelte Eltern, die uns einen Auftrag erteilen wollten. Schließlich hatten wir Amanda McCready nicht gefunden, und der ätzende Geruch dieses Versagens schien an uns zu haften, wenn wir abends unterwegs waren oder am Samstag nachmittag im Supermarkt einkauften.
Ray Likanski tauchte auch nicht wieder auf, und das nervte mich an diesem Fall mehr als alles andere. Soweit ich wußte, wurde er nicht mehr gesucht. Es gab also
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