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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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daß es Oktober war. Kaum zu glauben, daß der Winter vor der Tür stand.
    Kaum zu glauben, daß sich Amanda McCready immer weiter entfernte und sich die Erde trotzdem weiterdrehte.
    »Und?« fragte Doyle und beugte sich über das Geländer. »Fall schon gelöst?«
    Angie warf mir einen Blick zu und verdrehte die Augen.
    »Nein«, entgegnete ich, »aber kurz davor.«
    Doyle schmunzelte, den Blick auf den Flecken Beton vor der Veranda geheftet.
    Angie begann: »Wir nehmen an, daß Sie den McCreadys davon abgeraten haben, mit uns zu sprechen.«
    »Warum sollte ich?«
    »In Ihrer Position würde ich das gleiche tun«, gab Angie zurück, als er sich zu ihr drehte. »Zu viele Köche.«
    Doyle nickte. »Das ist einer der Gründe.«
    »Was ist der andere?« fragte ich.
    Er verschränkte die Finger ineinander und drückte dann die Hände durch, bis die Gelenke knackten. »Sehen diese Leute aus, als ob sie in Geld schwimmen? Als ob sie Schnellboote, goldene Kerzenleuchter oder so was herumliegen hätten?«
    »Nein.«
    »Und seit der Sache mit Gerry Glynn haben Sie beide ganz schön hohe Preise, hab ich gehört.«
    Angie nickte. »Und noch höhere Vorschüsse.«
    Doyle mußte lachen, drehte sich dann aber wieder zum Geländer um. Locker umfaßte er es mit beiden Händen und wippte auf den Absätzen. »Wenn das kleine Mädchen gefunden wird, sind Lionel und Beatrice bestimmt mit hundert Riesen in den Miesen. Mindestens. Sie sind nur Tante und Onkel, aber sie schalten Fernsehspots, um sie zu finden, machen ganzseitige Anzeigen in jeder großen Zeitung, pflastern ihr Bild auf die Reklametafeln an den Highways, heuern Hellseher, Schamanen und Privatdetektive an.« Er sah uns wieder an. »Danach sind sie pleite. Verstehen Sie?«
    »Das ist einer der Gründe, warum wir diesen Fall nicht annehmen wollen«, erklärte ich.
    »Ach, wirklich?« Er hob die Augenbrauen. »Und warum sind Sie dann hier?«
    »Beatrice ist hartnäckig«, erwiderte Angie.
    Er blickte ins Küchenfenster. »Das ist sie wirklich, stimmt.«
    »Wir finden es etwas komisch, daß Amandas Mutter nicht genauso hartnäckig ist.«
    Doyle zuckte mit den Achseln. »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie randvoll mit Beruhigungsmitteln, Prozac oder was sie den Eltern von vermißten Kindern heutzutage geben.« Er ließ das Geländer los. »Egal. Hören Sie zu! Ich will’s mir nicht gleich mit zwei Leuten verderben, die mir vielleicht helfen können, die Kleine zu finden. Kein Scheiß. Ich will nur auf Nummer Sicher gehen, daß ihr a) mir nicht in die Quere kommt, b) nicht der Zeitung erzählt, man hätte euch an Bord geholt, weil die Bullen zu dämlich sind, und c) nicht den Schmerz dieser Leute da drinnen ausnutzt. Ich mag Lionel und Beatrice nämlich zufällig. Das sind gute Leute.«
    »Was war noch mal b)?« Ich grinste.
    Angie sagte: »Lieutenant, wie wir schon gesagt haben: Wir wollen diesen Fall wirklich nicht übernehmen. Wahrscheinlich sind wir gar nicht lange genug da, um Ihnen in die Quere zu kommen.«
    Lange sah er sie mit seinem harten, offenen Blick an. »Und warum stehen Sie dann hier auf der Veranda und reden mit mir?«
    »Weil Beatrice unser Nein bisher nicht akzeptiert hat.«
    »Und Sie glauben, daß sich daran was ändert?« Er lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Hoffen darf man ja«, gab ich zurück.
    Er nickte und wandte sich wieder ab. «‘ne lange Zeit.«
    »Was?« fragte Angie.
    Sein Blick blieb auf den Hinterhof gerichtet. »Für ‘ne vermißte Vierjährige.« Er seufzte, »‘ne lange Zeit«, wiederholte er.
    »Und Sie haben keine Anhaltspunkte?« fragte Angie.
    Er zuckte mit den Achseln. »Nichts, wofür ich mein Haus verwetten würde.«
    »Dann was anderes, wofür Sie vielleicht ‘ne drittklassige Eigentumswohnung verwetten?« hakte sie nach.
    Er grinste wieder und zuckte mit den Achseln.
    »Das heißt für mich: eigentlich nicht«, sagte Angie.
    Er nickte. »Eigentlich nicht.« Unter seinen geballten Fäusten knirschte der Lack wie trockenes Laub. »Ich sag Ihnen mal, wie ich auf die Schiene mit den Kindesentführungen gekommen bin. Ist ungefähr zwanzig Jahre her, da war meine Tochter, Shannon, plötzlich weg. Einen Tag lang.« Er drehte sich wieder zu uns um und hob den Zeigefinger. »Eigentlich nicht mal einen ganzen Tag. Genau genommen von etwa vier Uhr nachmittags bis ungefähr acht Uhr morgens, aber sie war erst sechs Jahre. Und ich kann Ihnen sagen, Sie haben keine Ahnung, wie lang so eine Nacht werden kann, wenn das eigene

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