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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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nicht genau. Er ist mir auf den Sack gegangen, da bin ich sauer geworden.« Er zuckte mit den Schultern. »Damals war ich anders.«
    »Also hat Broussard gelogen, Sie konnten gehen und hatten das Gefühl, ihm etwas zu schulden.«
    Er hob das Glas, überlegte es sich dann jedoch anders und stellte es wieder auf dem Untersetzer ab. »Nehme ich an. Er hat nie mehr davon gesprochen, und im Laufe der Jahre freundeten wir uns an. Manchmal trafen wir uns zufällig, hin und wieder rief er mich an. Erst im nachhinein fällt mir auf, daß er die Verbindung aufrechterhielt. So ist er nun mal. Versteht mich nicht falsch, er ist ein netter Typ, aber er kann nicht anders, er muß die Leute immer beobachten, studieren, ob sie ihm eines Tages nützen können.«
    »Viele Bullen sind so«, sagte Ryerson und trank sein Mineralwasser.
    »Sie auch?«
    Ryerson dachte kurz darüber nach. »Ja, schätze schon.«
    Lionel nippte wieder an seinem Scotch und wischte sich mit der Serviette über die Lippen. »Letztes Jahr im Juli nahmen meine Schwester und Dottie Amanda mit an den Strand. Es war superheiß an dem Tag, wolkenlos, und Helene und Dottie lernten ein paar Kerle kennen, die was zu rauchen dabei hatten oder was weiß ich.« Er wich unseren Blicken aus und nahm einen großen Schluck Scotch. Als er weitersprach, war seine Miene getrübt und seine Stimme belegt. »Amanda ist am Strand eingeschlafen, und die beiden … die haben sie da liegen lassen, stundenlang allein und unbeobachtet. Sie wurde geröstet, Mr. Kenzie, Miss Gennaro. Sie hatte schwere Verbrennungen an den Beinen und auf dem Rücken, kurz vor dem dritten Grad. Eine Hälfte ihres Gesichts war so angeschwollen, daß es aussah, als sei sie von Bienen angegriffen worden. Meine beschissene, schlampige, abartige Nuttenjunkieschwester hat zugelassen, daß die Haut ihrer Tochter verkohlte. Sie nahmen die Kleine mit nach Hause, und irgendwann ruft mich Helene an, weil Amanda - wie sie sagte - nervig drauf ist . Sie hörte einfach nicht auf zu weinen. Sie ließ Helene nicht in Ruhe. Ich gehe rüber und sehe, daß meine Nichte, dieses kleine vierjährige Kind, verbrannt ist. Sie hat Schmerzen. Sie schreit, weil es so weh tut. Und wißt ihr, was meine Schwester mit ihr gemacht hatte?«
    Wir warteten, er umklammerte das Glas, senkte den Kopf und atmete ein paarmal durch.
    Dann hob er den Kopf. »Sie hatte Bier auf Amandas Brandwunden gekippt. Bier. Um sie zu kühlen. Keine Aloe, kein Lidocain, hat nicht mal drüber nachgedacht, mit ihr zum Krankenhaus zu fahren. Nein, sie hat ein Bier auf sie gekippt, sie ins Bett geschickt und den Fernseher laut aufgedreht, damit sie das Weinen ihrer Tochter nicht hören mußte.« Er hob die geballte Faust, als wolle er auf den Tisch donnern und ihn entzweischlagen. »An dem Abend hätte ich meine Schwester umbringen können. Statt dessen bin ich mit Amanda zur Notaufnahme gefahren. Ich habe Helene in Schutz genommen. Ich hab’ gesagt, sie sei müde gewesen und sei zusammen mit Amanda am Strand eingeschlafen. Ich flehte die Ärztin an und konnte sie schließlich überzeugen, nicht die Jugendfürsorge anzurufen und es als Fall von Kindesmißhandlung anzuzeigen. Ich weiß nicht warum, ich dachte nur, sie würden uns Amanda wegnehmen. Ich hab’ einfach…« Er schluckte. »Ich habe Helene gedeckt. So wie ich mein ganzes Leben lang andere gedeckt habe. In der Nacht nahm ich Amanda zu uns ins Haus, damit sie bei mir und Beatrice schlief. Die Ärztin hatte ihr etwas gegeben, damit sie besser schlafen konnte, aber ich lag wach. Ich hielt immer wieder die Hand über ihren Rücken und fühlte, welche Hitze er ausstrahlte. Es war, als ob - anders kann ich das nicht ausdrücken -, als ob man die Hand über ein Stück Fleisch hielt, das gerade aus dem Ofen kam. Ich sah sie schlafen und dachte, das kann so nicht weitergehen. Das muß ein Ende haben.«
    »Aber, Lionel«, warf Angie ein, »was wäre passiert, wenn Sie Helene bei der Jugendfürsorge angezeigt hätten? Wenn Sie das öfter gemacht hätten, hätten Sie bestimmt ein Gesuch beim Gericht einreichen können, um Amanda zusammen mit Beatrice adoptieren zu können.«
    Lionel lachte, und Ryerson schüttelte langsam den Kopf.
    »Was ist?« fragte sie.
    Ryerson knipste das Ende einer Zigarre ab. »Miss Gennaro, solange die leibliche Mutter keine Lesbe ist und in Utah oder Alabama lebt, ist es so gut wie unmöglich, ihr das Sorgerecht zu entziehen.« Er zündete die Zigarre an und schüttelte den Kopf. »Lassen

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