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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Sie mich verbessern: Es ist unmöglich.«
    »Wie kann das angehen, wenn sich die Mutter als ständige Gefahr für das Kind herausstellt?«
    Wieder schüttelte Ryerson traurig den Kopf. »In diesem Jahr bekam eine Mutter in Washington, D. C. das uneingeschränkte Sorgerecht für ein Kind, das sie gar nicht kannte. Der Sohn hatte seit seiner Geburt bei Pflegeeltern gelebt. Die leibliche Mutter ist eine verurteilte Schwerverbrecherin, die das Kind zur Welt brachte, als sie auf Bewährung draußen war. Sie war hinter Gittern, weil sie ein anderes ihrer Kinder umgebracht hatte, das das reife Alter von sechs Wochen erreichen durfte. Als es vor Hunger schrie, sagte sich die Mutter, genug ist genug, und erstickte die Kleine, warf sie in eine Mülltonne und ging auf eine Grillparty. Nun hat diese Frau noch zwei weitere Kinder, von denen eins von den Eltern des Vaters aufgezogen wird, das andere bei Stiefeltern in Pflege ist. Alle vier Kinder haben einen anderen Vater. Die Mutter, die nur ein paar Jahre für den Mord an ihrer Tochter absaß, zieht nun ihr viertes Kind groß - vollkommen verantwortungsbewußt, da bin ich mir sicher -, das sie liebevollen Pflegeeltern genommen hat, die bei Gericht das Sorgerecht beantragt hatten. Das ist eine wahre Geschichte«, sagte Ryerson. »Können Sie nachlesen.«
    »Das ist doch Blödsinn«, stieß Angie aus.
    »Nein, es ist wahr«, widersprach Ryerson.
    »Wie kann…« Angie ließ die Hände fallen und starrte in die Ferne.
    »Wir leben in Amerika«, sagte Ryerson, »wo jeder Erwachsene das unveräußerliche Recht hat, seine Kinder zu fressen.«
    Angie sah aus, als habe man ihr zuerst in die Magengrube und dann ins Gesicht geschlagen.
    Lionel ließ die Eiswürfel in seinem Glas klirren. »Agent Ryerson hat recht, Miss Gennaro. Man kann überhaupt nichts tun, wenn eine schlechte Mutter ihr Kind nicht hergeben will.«
    »Aber deshalb sind Sie noch nicht aus dem Schneider, Mr. McCready.« Ryerson zeigte mit der Zigarre auf ihn. »Wo ist Ihre Nichte?«
    Lionel starrte auf die Asche von Ryersons Zigarre und schüttelte schließlich den Kopf.
    Ryerson nickte und kritzelte etwas in sein Notizbuch. Dann griff er hinter sich und holte Handschellen hervor, die er auf den Tisch legte.
    Lionel schob den Stuhl zurück.
    »Bleiben Sie sitzen, Mr. McCready, oder ich lege als nächstes meine Waffe auf den Tisch.«
    Lionel umklammerte die Armlehnen, blieb aber sitzen.
    Ich fragte: »Sie waren also sauer auf Helene wegen Amandas Brandwunden. Was geschah als nächstes?«
    Ich sah Ryerson an, und er blinzelte leicht und nickte unauffällig. Ohne Umschweife nach Amandas Aufenthaltsort zu fragen klappte nicht. Lionel machte einfach dicht und nahm die ganze Schuld auf sich. So würden wir sie nie finden. Aber wenn wir ihn wieder zum Reden brachten…
    »Meine UPS-Tour«, sagte er schließlich, »führt auch durch Broussards Bezirk. So blieben wir über die Jahre in Kontakt. Na ja…«
    In der Woche nach Amandas Sonnenbrand waren Lionel und Broussard zusammen trinken gegangen. Broussard hatte Lionel zugehört, der von der Sorge um seine Nichte, von seinem Haß auf seine Schwester und von seiner Befürchtung erzählte, daß Amandas Chancen von Tag zu Tag kleiner wurden, anders als ihre Mutter zu werden.
    Broussard hatte alle Getränke bezahlt. Er war großzügig gewesen, und gegen Ende, als Lionel betrunken war, hatte er den Arm um ihn gelegt und gefragt: »Was ist, wenn es einen Ausweg gäbe?«
    »Es gibt keinen Ausweg«, hatte Lionel geantwortet. »Die Gerichte, die…«
    »Scheiß auf die Gerichte«, hatte Broussard gesagt. »Scheiß auf alles, was du dir ausgedacht hast. Was ist, wenn es eine Möglichkeit gäbe, Amanda ein liebevolles Elternhaus zu verschaffen?«
    »Wo liegt der Haken?«
    »Der Haken ist, daß niemand je erfahren darf, was mit ihr passiert ist. Weder ihre Mutter, noch deine Frau, noch dein Sohn. Niemand. Sie verschwindet einfach.«
    Broussard hatte mit den Fingern geschnippt.
    »Puff. Als hätte es sie nie gegeben.«
    Lionel brauchte ein paar Monate, bis er soweit war. In der Zeit war er zweimal bei seiner Schwester vorbeigegangen und hatte gesehen, daß die Tür offenstand. Helene war auf Besuch bei Dottie und hatte ihre Tochter allein gelassen. Im August kam Helene auf einer Grillparty von Lionel und Beatrice im Hinterhof vorbei. Sie war mit Amanda im Wagen eines Freundes herumgefahren und vollkommen betrunken. Sie war so besoffen, daß sie, als sie Amanda und Matt auf der Schaukel Schwung

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