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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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die Luft kühler wurde. Mütter riefen nach ihren Kindern, die Bauarbeiter auf der anderen Seite des Hauses lärmten mit Schlagbohrmaschinen, ein paar Blöcke weiter war ein Federballspiel im Gange.
    Helene trank ihre Cola mit einem Strohhalm. »Echt Scheiße! Die beiden kamen mir ganz nett vor.«
    Ich trank einen Schluck Kaffee. »Wie oft hast du sie getroffen?« »Nur das eine Mal.«
    Angie fragte: »Kannst du dich an etwas Besonderes aus der Nacht erinnern?«
    Helene dachte darüber nach und schlürfte weiter an dem Strohhalm. »Die ganzen Katzen. Die waren wirklich überall. Eine von ihnen hat Amanda über die Hand gekratzt, die kleine Hexe.« Sie lächelte uns an. »Die Katze, mein ich.« »Also war Amanda doch bei euch im Haus.« »Nehm’ ich an.« Sie zuckte mit den Achseln. »Klar.« »Weil du bis jetzt nicht genau wußtest, ob sie nicht im Auto geblieben war.«
    Wieder zuckte sie mit den Schultern, und ich widerstand dem Drang, mich vorzubeugen und sie ordentlich an den Schultern durchzuschütteln. »Echt? Stimmt, bis mir die Katzen wieder eingefallen sind, war ich mir nicht sicher. Doch, sie war mit im Haus.«
    »Kannst du dich sonst noch an etwas erinnern?« Angie trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Sie war nett.« »Wer, Kimmie?«
    Sie zeigte mit dem Finger auf mich und grinste. »Stimmt. So hieß sie: Kimmie. Sie war gut drauf. Sie hat Amanda und mich mit in ihr Zimmer genommen und hat uns Fotos von einem Wochenende in Disney World gezeigt. Amanda war vollkommen hin und weg. Auf dem Weg nach Hause ging es immer nur, Mami, können wir auch Micky und Minnie besuchen? Können wir auch nach Disney World fahren?« Sie schnaubte verächtlich. »Kinder! Als ob ich Geld dafür hätte.«
    »Ihr hattet zweihunderttausend Dollar, als ihr ins Haus gegangen seid.«
    »Aber das war Rays Sache. Ich meine, ich würde so einen abgedrehten Typ wie Cheese Olamon doch nicht alleine abzocken. Ray meinte, er würde mir was abgeben. Er hat mich noch nie angelogen. Also gehe ich davon aus, daß es seine Sache ist, sein Problem, wenn Cheese das Ding herausfindet.« Wieder zuckte sie mit den Schultern.
    »Ich kenne Cheese schon ziemlich lange«, bemerkte ich.
    »Ja, echt?«
    Ich nickte. »Chris Mullen auch. Wir haben früher zusammen Baseball gespielt, uns zusammen rumgetrieben.«
    Sie hob die Augenbrauen. »Ohne Scheiß?«
    Ich hob die Hand. »Ich schwör’ es bei Gott. Und Cheese, echt, Helene, weißt du, was der tun würde, wenn er sich von einem abgezockt fühlt?«
    Sie griff nach ihrem Glas und setzte es wieder ab. »He, hör zu, es war Ray. Ich bin nur mit ihm in dieses Motel gegangen …«
    »Cheese - und da waren wir noch jung, so um die fünfzehn - hat einmal gesehen, wie seine Freundin einen anderen Typen anguckte, ja? Er hat eine Bierflasche an einer Laterne zerschlagen und ihr damit das Gesicht zerschnitten. Hat ihr die Nase abgetrennt, Helene. Das hat er mit fünfzehn gemacht. Was glaubst du, was er jetzt macht?«
    Sie nuckelte an ihrem Strohhalm, bis das Eis auf dem Boden des Glases klickerte. »Es war Rays Sache…«
    »Meinst du, daß er nur das kleinste Problem hat, deine Tochter abzustechen?« rief Angie. »Helene!« Sie griff über den Tisch nach Helenes knochigen Handgelenken. »Was meinst du?«
    »Cheese?« fragte Helene mit unsicherer Stimme. »Meinst du, er hat vielleicht was mit Amanda zu tun?«
    Angie starrte sie eine halbe Minute lang an. Dann schüttette sie den Kopf und ließ Helenes Hand fallen. »Darf ich dich mal was fragen?«
    Helene rieb sich die Handgelenke und starrte wieder auf ihre Cola. »Ja?«
    »Von was für einem abgefuckten Planeten kommst du eigentlich?«
    Danach sagte Helene eine Weile gar nichts mehr.
    Um uns herum ging der Herbst in bunten Farben seinem Ende entgegen. Grelle Gelb-und feurige Rottöne, brennendes Orange und rostiges Grün färbten die Blätter, die von den Zweigen fielen und sich im Gras sammelten. Der für den Herbst so typische durchdringende Geruch der Vergänglichkeit lag in der Luft, die uns in Böen durch die Kleidung fuhr, uns die Muskeln anspannen und die Augen aufreißen ließ. Nirgendwo inszeniert sich die Vergänglichkeit so stolz und eindrucksvoll wie im Oktober in Neuengland. Die Sonne war hinter den am Morgen noch dräuenden Gewitterwolken hervorgebrochen und verwandelte die Fensterscheiben in hellglänzende Quadrate und tauchte die den kleinen Hof umgebenden Reihenhäuser aus Backstein in einen gedämpften Farbton, der zu den dunkleren Blättern

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