Kein Kinderspiel
die billige Rückenlehne aus Korbgeflecht drückten? War das seine letzte Wahrnehmung gewesen, bevor der Schrot seine Brusthöhle öffnete, als seien Knochen und Fleisch aus Seidenpapier? Oder fühlte er, wie sich das Blut in seinen angeketteten Handgelenken staute, bis die Finger blau und taub wurden?
Die Menschen, die das Haus am letzten Tag im Leben der beiden betreten hatten, wußten, daß sie Kimmie und Mini-David umlegen würden. Dort in der Küche hatte eine professionelle Exekution stattgefunden. Kimmie war die Kehle in einem letzten Versuch durchschnitten worden, Mini-David zum Reden zu bringen, doch war sie, der Vorsicht halber, mit einem Messer getötet worden.
Nachbarn deuten einen Schuß fast immer als etwas anderes: als Fehlzündung eines Autos oder als aufheulenden Motor. Und wenn eine Schrotflinte abgefeuert wird, glauben sie, ein Porzellanschrank sei umgefallen. Ganz besonders, wenn das Geräusch aus dem Haus von Drogendealern oder Abhängigen kommt, die in der Nachbarschaft sowieso schon für ihre seltsamen nächtlichen Geräusche bekannt sind.
Niemand will in Erwägung ziehen, daß er tatsächlich einen Schuß gehört hat und somit zum Zeugen eines Mordes geworden ist, wenn auch nur akustisch.
Die Killer mußten Kimmie schnell und leise getötet haben, wahrscheinlich ohne Vorwarnung. Mini-David aber, den hatten sie mit dem Gewehr eine Zeitlang bedroht. Sie wollten, daß er ihren gekrümmten Finger am Abzug sah, daß er den Aufschlag des Hammers auf die Hülse, das explosive Klicken der Zündung hörte.
Und das waren die Leute, die Amanda McCready in ihrer Gewalt hatten.
»Ihr wollt die zweihunderttausend gegen Amanda eintauschen«, stellte Angie fest.
Jetzt war es heraus. Was wir seit fünf Minuten wußten. Was Poole und Broussard nicht hatten in Worte fassen wollen. Eine grobe Verletzung der Dienstvorschriften.
Poole studierte den Stamm des toten Baumes. Broussard hob mit dem Schuh ein rotes Blatt vom grünen Gras.
»Hab ich recht?« fragte Angie.
Poole seufzte. »Mir wäre es lieber, wenn die Entführer keinen Koffer voller Zeitungen oder numerierter Scheine öffnen und die Kleine dann umbringen, bevor wir sie finden.«
»Ist das schon mal passiert?« erkundigte sich Angie.
»Das ist bei Fällen passiert, die ich ans FBI weitergeben mußte«, erklärte Poole. »Das ist unser Problem hier, Miss Gennaro. Entführung ist eine Bundesangelegenheit.«
»Gehen wir zum FBI«, ergänzte er, »wandert das Geld in den Schrank mit den Beweismitteln, und die Detectives verhandeln mit den Entführern, damit sie beweisen können, wie schlau sie sind.«
Angie betrachtete den kleinen Hof, die violetten Blütenblätter, die von der anderen Seite durch den Maschendrahtzaun wuchsen. »Ihr wollt ohne die Typen vom FBI mit den Entführern verhandeln.«
Poole grub die Hände in die Hosentaschen. »Ich habe schon zu viele tote Kinder in Wandschränken gefunden, Miss Gennaro.«
Sie sah Broussard an. »Und Sie?«
Er lächelte. »Ich hasse das FBI.«
Ich merkte an: »Wenn es schiefgeht, seid ihr eure Pension los, vielleicht noch schlimmer.«
Auf der anderen Hofseite hängte ein Mann einen Läufer aus einem Fenster im zweiten Stock und fing an, ihn mit einem Hockeyschläger ohne Schlagfläche zu klopfen. Der Staub stieg in flüchtigen Wolken auf. Der Mann schien uns nicht zu bemerken.
Poole hockte sich hin und zupfte an einem Grashalm neben der Erhebung im Erdboden. »Könnt ihr euch an den Jeannie-Minnelli-Fall erinnern? Ist schon ein paar Jahre her.«
Angie und ich zuckten mit den Schultern. Es ist traurig, wie viel Furchtbares man vergißt.
»Ein neunjähriges Mädchen«, erklärte Broussard. »Es verschwand, als es mit seinem Fahrrad in Somerville unterwegs war.«
Ich nickte. Langsam dämmerte es mir.
»Wir haben sie gefunden, Mr. Kenzie, Miss Gennaro.« Poole knickte den Grashalm zwischen den Fingern. »In einer Tonne. Einzementiert. Aber der Zement war noch nicht hart geworden, weil die Idioten, die sie umgebracht hatten, Wasser und Zement im falschen Verhältnis gemischt hatten.« Er klatschte in die Hände, um Dreck oder Blütenstaub abzuklopfen. »Wir haben die Leiche einer Neunjährigen in einer Tonne voll wäßrigem Zement gefunden.« Er stand auf. »Hört sich das nett an?«
Ich blickte zu Broussard. Die Erinnerung daran hatte ihn erbleichen lassen. Schauer liefen ihm über den Arm, bis er die Hände in die Taschen steckte und die Ellenbogen an seinen Körper drückte.
»Nein«,
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